Mein erfundenes Land
Agnostiker. Angenommen, ich brauche ein Taxi. Die Erfahrung hat gezeigt, daß ein Vaterunser genügt, damit eines auftaucht. Es gab eine Zeit in meinem Leben, ich war den Kinderschuhen entwachsen, aber noch keine fünfzehn, da nährte ich die Vorstellung, Nonne zu werden, weil ich vertuschen wollte, daß ich bestimmt nie einen Ehemann finden würde, und bis heute habe ich die Idee nicht verworfen; noch immer lockt mich der Gedanke, meine Tage in der Armut, Stille und Einsamkeit eines Benediktinerordens oder in einem buddhistischen Kloster zu beschließen. Die theologischenFeinheiten sind unerheblich; was mir gefällt, ist der Lebensstil. Obwohl ich unverbesserlich frivol bin, wirkt das klösterliche Dasein anziehend auf mich. Mit fünfzehn entfernte ich mich für immer von der Kirche, und seither graust mir vor Religionen im allgemeinen und vor monotheistischen im besonderen. Mit dieser Haltung stehe ich nicht allein, viele Frauen meiner Generation, die für die Befreiung der Frau kämpfen, fühlen sich unwohl in patriarchalen Religionen – gibt es eine, die das nicht wäre? – und mußten sich ihre eigenen Kulte erfinden, die in Chile allerdings immer christlich angehaucht sind. Da kann eine steif und fest behaupten, sie sei Animistin, bei ihr zu Hause oder um ihren Hals findet sich doch ein Kreuz. Meine Religion, falls das jemanden interessiert, läßt sich auf eine einfache Frage verkürzen: »Was ist das Großzügigste, das man in diesem Fall tun könnte?« Wenn die Frage nicht paßt, habe ich eine andere: »Was würde Großvater davon halten?« Doch verhindert das nicht, daß ich mich, wenn es not tut, bekreuzige.
Ich habe immer gesagt, Chile sei ein fundamentalistisches Land, aber seit ich um die Exzesse der Taliban weiß, muß ich mein Urteil mäßigen. Vielleicht sind wir doch keine Fundamentalisten, auch wenn nicht viel dazu fehlt. Allerdings hatten wir im Unterschied zu vielen anderen lateinamerikanischen Ländern das Glück, daß die katholische Kirche – von einigen beklagenswerten Ausnahmen abgesehen – fast immer auf seiten der Armen stand, was ihr große Achtung und viel Sympathien einbrachte. In den Jahren der Diktatur machten es sich viele Priester und Nonnen zur Aufgabe, den Opfern der Unterdrückung zu helfen, und sie bezahlten teuer dafür. Wie Pinochet 1979 sagte, »weinen in Chile nur die Politiker und ein oder zwei Priester der Demokratie eine Träne nach«. (In jener Zeit kam Chile in den Genuß einer »totalitären Demokratie«, wie die Generäle das nannten.)
Die Kirchen füllen sich an Sonntagen, und der Papst wirdverehrt, auch wenn ihm beim Thema Empfängnisverhütung kaum jemand Beachtung schenkt, weil man davon ausgeht, daß ein im Zölibat lebender Greis, der sich nicht um seinen Lebensunterhalt kümmern muß, in einer solch delikaten Angelegenheit kein Fachmann sein kann. Die Religion ist bunt und voller Rituale. Wir feiern zwar keinen Karneval, aber dafür haben wir Prozessionen. Die Heiligen sind wie die Götter des Olymp auf bestimmte Aufgaben spezialisiert: den Blinden das Augenlicht zurückgeben, untreue Ehemänner strafen, einen Bräutigam finden, die Autofahrer behüten; aber der beliebteste von allen ist zweifellos Pater Hurtado, der zwar noch nicht heilig ist, doch hoffen wir, das wird sich bald ändern, auch wenn der Vatikan nicht für rasche Entscheidungen berühmt ist. Pater Hurtado gründete das »Heim Christi«, ein Wohltätigkeitswerk, das heute ein millionenschweres Unternehmen ist und sich ausschließlich der Unterstützung der Armen widmet. Dieser außergewöhnliche Gottesmann kann Wunder wirken, und so hat sich noch fast alles, worum ich ihn gebeten habe, durch die Spende eines angemessenen Betrags an eine seiner karitativen Einrichtungen oder ein Gelübde meinerseits erfüllt. Ich bin wohl eine der wenigen lebenden Personen, die alle drei Bände des endlosen Epos La Araucana gelesen haben, in gereimten Versen und barockem Spanisch. Ich tat es nicht aus Neugier oder um mit meiner Belesenheit angeben zu können, sondern weil ich es Pater Hurtado gelobt hatte. Dieser Mann mit dem reinen Herzen sah es als einen Verfall der Sitten an, wenn eben jene Katholiken, die im Überfluß leben, zwar die Messe besuchen, ihren Arbeitern jedoch einen menschenwürdigen Lohn verweigern. Seine Worte sollte man auf die Tausendpesoscheine drucken, damit man sie niemals vergißt.
Es gibt bei uns auch verschiedene, miteinander rivalisierende Darstellungen der Jungfrau Maria; die
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