Mein erfundenes Land
verheirateten Frauen untreu. Ob sich die Ehepartner wohl manchmal nur knapp verpassen? Der Mann verführt eben die Frau seines besten Freundes, während sich seine Frau mit eben diesem besten Freund im selben Motel vergnügt? In Kolonialzeiten, als Chile noch zum Vizekönigreich Peru gehörte, schickte die Inquisition einmal einen Dominikanerpater aus Lima, der die Frauen der gehobenen Gesellschaft bezichtigte, Fellatio mit ihren Männern zu praktizierten (wie hat er davon erfahren?). Aus dem Prozeß wurde nichts, weil sich die fraglichen Damen nicht ins Bockshorn jagen ließen. Noch in derselben Nacht schickten sie ihre Männer aus, die ja wohl oder übel an der Sünde beteiligt gewesen sein müssen, auch wenn niemand sie anklagte, damit sie den Inquisitor umstimmten. Sie fanden ihn in einer dunklen Gasse und kastrierten ihn kurzerhand wie einen Jungstier. Der arme Dominikaner kehrte ohne Hoden heim nach Lima, und die Sache wurde nicht mehr erwähnt.
So weit muß man nicht gehen. Einer meiner Freundekonnte partout seine entflammte Geliebte nicht loswerden und suchte schließlich während ihrer Siesta das Weite. Er hatte einige Habseligkeiten in einen Rucksack gepackt und rannte draußen einem Taxi hinterher, als ihn ein Bär von hinten anfiel und auf den Asphalt warf, wo er platt wie ein Kakerlak zu liegen kam: Es war die Geliebte, die ihm splitternackt und schreiend nachgelaufen war. Aus den Nachbarhäusern drängten die Schaulustigen, das Spektakel zu genießen. Die Männer sahen amüsiert zu, aber die umstehenden Frauen hatten kaum begriffen, worum es ging, da halfen sie auch schon, meinen sich windenden Freund festzuhalten. Schließlich hoben sie ihn zu mehreren hoch und trugen ihn zurück in das Bett, das er ohne Erlaubnis verlassen hatte.
Ich könnte noch etwa dreihundert weitere Beispiele anführen, aber das sollte wohl genügen.
Mit Gottes Beistand
Was ich eben über jene Damen erzählte, die während der Kolonialzeit die Inquisition herausforderten, ist eine der wenigen Ausnahmen in unserer Geschichte, denn im Grunde steht die Macht der katholischen Kirche außer Frage und wird in jüngster Zeit durch das Erstarken fundamentalistischer katholischer Bewegungen wie des Opus Dei und der Legionäre Christi sehr unschön.
Die Chilenen sind religiös, doch im täglichen Leben äußert sich das eher in Fetischkult und Aberglauben als in mystischer Unruhe oder theologischem Kenntnisreichtum. Der Begriff Atheist gilt als Schimpfwort, und niemand bezeichnet sich so, selbst in der Wolle gefärbte Kommunisten sprechen lieber davon, sie seien Agnostiker. Und für gewöhnlich bekehren sich auch die Ungläubigsten auf dem Sterbebett, weil zuviel auf dem Spiel steht und eine Beichte in letzter Minute ja noch keinem geschadet hat. Die Hinwendung zu Gott entspringt der Erde selbst: Ein Volk, das zwischen Bergen lebt, blickt zwangsläufig zum Himmel auf. Die öffentlichen Bekenntnisse zum Glauben sind beeindruckend. Tausende und Abertausende von Jugendlichen folgen den Aufrufen der Kirche, preisen in langen Prozessionen mit Kerzen und Blumen die Jungfrau Maria oder beten aus voller Kehle für Frieden und zeigen dabei eine Begeisterung, wie man sie in anderen Ländern auf Rockkonzerten erlebt. Der Rosenkranz im Familienkreis und der Marienmonat, der vom 8. November bis zum 8. Dezember gefeiert wird, erfreuten sich früher größter Beliebtheit; heute laufen ihnen allerdings die Telenovelas den Rang ab.
In meiner Familie mangelte es natürlich nie an Esoterikern. Einer meiner Onkel predigte siebzig Jahre seines Lebensdie Begegnung mit dem Nichts; er hat viele Anhänger. Hätte ich in jungen Jahren auf ihn gehört, ich müßte mich heute nicht in die Lehren Buddhas versenken oder mich im Yoga-Kurs vergeblich mühen, auf dem Kopf zu stehen. Jene steinalte, verrückte Tante, die als Nonne verkleidet die Prostituierten in der Calle Maipú zu bekehren versuchte, brachte es in Sachen Heiligkeit nicht annähernd so weit wie eine Schwester meiner Großmutter, der Flügel wuchsen. Nicht das güldene Gefieder eines Renaissance-Engels, das hätte ja Aufsehen erregt, sondern diskrete Stummel an den Schultern, die von den Ärzten fälschlich als Deformation des Knochengerüsts diagnostiziert wurden. Manchmal, wenn das Licht günstig stand, konnten wir ihren Heiligenschein erhaschen, der wie ein leuchtender Teller über ihrem Kopf schwebte. Ich habe von ihr schon in den Geschichten der Eva Luna erzählt und muß es hier nicht noch
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