Mein erfundenes Land
verfolgte sie sogar in einem Marathonlauf den Bus, in dem er saß. Die Männer schütteten sich aus vor Lachen über die Sendung, aber die Frauen waren so entrüstet, daß sie schließlich abgesetzt wurde: Keine Frau wollte sich derart treffend porträtiert sehen durch die unbeschreibliche Elvira.
Willie, mein Mann, der bei uns die Hälfte der Hausarbeit erledigt, ist fassungslos über den chilenischen Machismo. Wenn dort ein Mann den Teller spült, von dem er gegessen hat, meint er, er würde seiner Frau oder seiner Mutter »helfen«, und erwartet Applaus dafür. In unserem chilenischen Bekanntenkreis wird den halbwüchsigen Söhnen das Frühstück ans Bett serviert, die Wäsche gewaschen und das Bett gemacht, und zwar von einer Frau. Gibt es keine »Nana« im Haus, erledigen das Mutter oder Schwester – in den Vereinigten Staaten undenkbar. Auch die Institution der Hausangestellten ist Willie ein Greuel. Ich erzähle ihm lieber nicht, daß diese Frauen in früheren Jahrzehnten reichlich intime Pflichten zu erfüllen hatten, was allerdings nie offen gesagt wurde: Die Mütter stellten sich dumm, wohingegen die Väter mit den Großtaten ihrer Sprößlinge im Dienstmädchenzimmer protzten. Er ist der »Sohn eines Tigers« sagten sie und gedachten dabei ihrer eigenen Erfahrungen. Allgemein war man der Ansicht, der Sohn solle sich die Hörner mit dem Dienstmädchen abstoßen, damit er nicht mit einem Mädchen aus den eigenen gesellschaftlichen Kreisen zu weit ginge, und jedenfalls war er da besser aufgehoben als beieiner Prostituierten. Auf dem Land gab es eine kreolische Variante des »Rechts der ersten Nacht«, das es dem Lehnsherrn in feudalen Zeiten erlaubt hatte, die Braut vor der Hochzeitsnacht zu schänden. Bei uns war das nicht so klar geregelt: Der Gutsherr schlief nach Belieben wann und mit welcher er wollte. Das Land war mit Bastarden übersät; es gibt Gegenden, in denen praktisch alle denselben Nachnamen tragen. (Einer meiner Vorfahren betete nach jeder Vergewaltigung auf Knien: »Vater im Himmel, nicht das Laster oder die Lust treibt mich zu ihnen, Kinder will ich zeugen, die Dir dienen…«) Heute haben sich die »Nanas« so weit emanzipiert, daß die Herrinnen des Hauses lieber illegale Einwanderinnen aus Peru beschäftigen, denen sie noch so übel mitspielen können wie einst den Chileninnen.
In den Bereichen Bildung und Gesundheit haben die Frauen zu den Männern aufgeschlossen oder sie sogar überholt, was sich aber nicht auf ihre Beschäftigungschancen und ihren politischen Einfluß auswirkt. Im Beruflichen erledigen sie gemeinhin die niederen Tätigkeiten, und die Männer haben das Sagen. In leitender Position in Politik, Industrie, privaten und öffentlichen Unternehmen findet man kaum Frauen: dort beißen sie auf Granit, wenn sie nach oben wollen. Schafft es dennoch einmal eine und wird, sagen wir, Ministerin oder Managerin einer Bank, gibt das Anlaß zu Staunen und Bewunderung. In den letzten zehn Jahren werden Frauen in der Politik allerdings mit Wohlwollen betrachtet, sie gelten in den Augen der Öffentlichkeit als gangbare Alternative, weil sie bewiesen haben, daß sie aufrichtiger, effizienter und tüchtiger sind als die Männer. Welche Erkenntnis! Wenn sie sich zusammenschließen, können sie entscheidenden Einfluß ausüben, aber sie scheinen sich ihrer eigenen Stärke nicht bewußt zu sein. Während der Regierungszeit Salvador Allendes zogen die Frauen der Rechten in einem Protestmarsch gegen die Versorgungsengpässe töpfeschlagend durch die Straßen und streuten in derEscuela Militar Hühnerfedern aus, um die Kadetten aufzuwiegeln. So haben sie ihr Scherflein zum Putsch beigetragen. Jahre später waren es wiederum Frauen, die als erste auf die Straße gingen, gegen Wasserwerfer, Schlagstöcke und Kugeln, um die Repressionen des Militärs anzuklagen. Unter dem Namen »Mujeres por la Vida« (Frauen für das Leben) schlossen sie sich zu einer machtvollen Gruppe zusammen, die eine entscheidende Rolle beim Sieg über die Diktatur spielte, doch nach Pinochets Wahlniederlage löste sich die Bewegung auf. Einmal mehr überließen sie den Männern die Macht.
Ich sollte klarstellen, daß die chilenischen Frauen, die sich bei der Eroberung der politischen Macht so wenig angriffslustig zeigen, in Liebesdingen wahre Kriegerinnen sind. Mit einer verliebten Chilenin ist nicht zu spaßen. Und, auch das muß gesagt werden, sie verlieben sich oft. Umfragen zufolge sind achtundfünfzig Prozent aller
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