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Mein erfundenes Land

Mein erfundenes Land

Titel: Mein erfundenes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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nicht, aber die Angst, die noch in der Luft gehangen hatte, verflüchtigte sich im Handumdrehen. Innerhalb weniger Tage verlor das Militär an Ansehen und Einfluß. Die stillschweigende Übereinkunft, nicht an Vergangenem zu rühren, fand dank dem Vorgehen jenes spanischen Richters ein Ende.
    Während meines Aufenthalts 1994 hatte ich den Südenbereist, mich erneut der großartigen Natur meines Landes überlassen und mich mit meinen treuen Freunden getroffen, denen ich näher stehe als meinen Brüdern, denn in Chile ist Freundschaft etwas fürs Leben. Gestärkt kehrte ich nach Kalifornien zurück, bereit, an die Arbeit zu gehen. Ich wählte mir einen Stoff, der möglichst weit vom Tod entfernt war, und schrieb Aphrodite , Betrachtungen über Völlerei und Wollust, die einzig lohnenden Todsünden. Ich kaufte einen Stapel Kochbücher und einen zweiten über Erotik und durchstöberte auf einer Entdeckungsreise durch das Schwulenviertel von San Francisco wochenlang die Pornoläden. (Eine solche Recherche wäre in Chile schwierig gewesen. Selbst wenn dieses Material dort zu finden wäre, hätte ich nie gewagt, es mir zu beschaffen; der gute Ruf der Familie hätte auf dem Spiel gestanden.) Ich lernte eine Menge. Es ist ein Jammer, daß ich dieses Wissen erst so spät in meinem Leben erwarb, jetzt kann ich es nicht mehr anwenden: Willie hat es abgelehnt, ein Trapez an die Decke zu hängen.
    Das Buch half mir, die Depression zu überwinden, in die mich der Tod meiner Tochter gestürzt hatte. Seitdem habe ich jedes Jahr ein Buch geschrieben. In der Tat mangelt es mir nicht an Ideen, was mir fehlt, ist Zeit. Ich dachte an Chile und Kalifornien und schrieb Fortunas Tochter und Porträt in Sepia , Romane, deren Figuren zwischen meinen beiden Heimatländern wandeln.
    Zum Abschluß möchte ich anmerken, daß die Vereinigten Staaten mich sehr gut behandelt haben, sie haben mir ermöglicht, ich selbst zu sein oder jede Version meiner selbst, die ich gerne erschaffen möchte. In San Francisco kommt die ganze Welt vorbei, jeder trägt sein Bündel Erinnerungen und Hoffnungen; die Stadt ist voller Ausländer, ich bin keine Ausnahme. Auf den Straßen hört man tausend Sprachen, für jede Glaubensrichtung werden Gotteshäuser gebaut, es duftet nach Essen aus den entlegensten Weltgegenden. Diewenigsten Leute sind hier geboren, die meisten sind Fremde im Paradies, so wie ich. Niemand kümmert es, wer ich bin oder was ich tue, niemand beobachtet oder verurteilt mich, ich werde in Ruhe gelassen, und wenn ich auf der Straße tot zusammenbräche, bekäme es zwar keiner mit, aber was soll’s? Das ist ein Spottpreis für die Freiheit. In Chile würde ich teuer für sie bezahlen, denn dort werden Unterschiede nach wie vor nicht geschätzt. In Kalifornien wird nur Intoleranz nicht toleriert.
    Weil mein Enkel Alejandro meinte, mir blieben noch drei Jahre zu leben, war ich gezwungen, mich zu fragen, ob ich die in den Vereinigten Staaten oder in Chile verbringen will. Ich weiß es nicht. Ehrlich gesagt, bezweifle ich, daß ich mein Haus aufgeben würde. Ich besuche Chile ein- oder zweimal im Jahr, und wenn ich komme, scheinen sich viele Leute zu freuen, aber ich glaube, sie freuen sich noch mehr, wenn ich wieder abreise, selbst meine Mutter, die immerzu fürchtet, ihre Tochter werde sich danebenbenehmen und beispielsweise im Fernsehen über Abtreibung reden. Ein paar Tage bin ich im siebten Himmel, aber nach zwei oder drei Wochen beginne ich, mich nach Tofu und grünem Tee zu sehnen.
    Dieses Buch hat mir geholfen zu verstehen, daß ich mich nicht entscheiden muß: Ich kann mit einem Fuß hier und mit dem anderen dort stehen, schließlich gibt es Flugzeuge, und ich gehöre nicht zu denen, die aus Angst vor Terroranschlägen nicht fliegen. Ich sehe das fatalistisch: Niemand stirbt eine Minute früher oder später, als er an der Reihe ist. Fürs erste ist Kalifornien mein Zuhause und Chile das Land meiner Sehnsucht. Mein Herz ist nicht zerrissen, sondern gewachsen. Ich kann fast überall leben und schreiben. Jedes Buch trägt etwas bei zu diesem »Ort in meinem Kopf«, wie meine Enkel ihn nennen. In der langsamen Übung des Schreibens habe ich mit meinen Dämonen und Obsessionen gerungen, habe die Winkel der Erinnerung erforscht, Geschichtenund Gestalten dem Vergessen entrissen, mir anderer Leute Leben gestohlen, und aus all diesen Rohstoffen habe ich einen Ort gebaut, den ich meine Heimat nenne. Dort komme ich her.
    Ich hoffe, dieser lange Diskurs

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