Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
selbstverständlich notwendige Voraussetzungen für gesamteuropäische Wirtschaftsplanung bewähren.
Es ist sogar durchaus denkbar, dass die übrigen europäischen Staaten der OEEC ähnliche Rechte einräumen werden; sobald nämlich demnächst sich die Erkenntnis Bahn brechen wird, dass die Entgegennahme der Marshallhilfe allein den einzelstaatlichen Volkswirtschaften nicht wieder auf die Beine hilft, sondern dass darüber hinaus gemeinsame Planung von Produktion und Außenwirtschaft nötig ist.
Was übrigens die Befürchtung der Niederhaltung der deutschen Wirtschaft angeht, so muss noch bemerkt werden, dass das Dokument nichts über etwaige Produktionsbeschränkungen sagt, wie das bis dahin noch in allen vorhergehenden Plänen für die deutsche Wirtschaft der Fall gewesen war. So wird auch die 10 , 7 -Millionen-Tonnen-Obergrenze für die Stahlerzeugung nicht erwähnt, sondern diese Dinge sind praktisch der Entwicklung anheimgestellt.
Das Statut steckt den staatsrechtlichen Rahmen für Zuständigkeit und Beschlussfassung der Ruhrbehörde ab; es enthält keine definitiven Bestimmungen über die deutsche Wirtschaft. So wird die Zukunft der deutschen Wirtschaft nicht vom Statut abhängen, sondern von denjenigen, die diese Verfassung handhaben werden, und von dem Geist, der ihre Handlungen tragen wird. Das ist bei jedem Grundgesetz so: die besterklügelte Verfassung kann wirkungslos bleiben, wenn die richtigen Menschen fehlen – und eine mangelhafte Verfassung kann gute Dienste tun, wenn sie mit rechtem Geiste erfüllt wird. Für den zukünftigen Geist der Ruhrbehörde wird ihre innere Gewichtsverteilung bedeutsam sein. Bei der Stimmenverteilung und den vorgeschriebenen Mehrheiten ist bemerkenswert, dass (außer in Artikel 13 , der sich mit Konstituierung und Verfahrensordnung befasst, für die zwölf Ja-Stimmen vorgeschrieben sind) an keiner Stelle ein Vetorecht versteckt ist, das einer einzelnen Macht bestimmenden Einfluss sichern könnte.
Das Statut trifft keine irgenwie gearteten vorsorglichen Bestimmungen über eine zukünftige Sozialisierung. Tatsächlich wird die Eigentumsfrage nur sehr knapp gestreift: es sollen keine Eigentumsrechte gestattet werden, die eine übermäßige Konzentration wirtschaftlicher Macht darstellen würden. Dieser Artikel kann zu gegebener Zeit gegen eine Sozialisierung ins Feld geführt werden. Das ist besonders bedenklich, weil trotz der gleichmäßigen Stimmenverteilung die sozialisierungsfeindlichen USA einen starken Einfluss haben werden; dieser Einfluss wird seinen Weg über den Marshallplan-Administrator und die OEEC sowie über jene vielen Bestimmungen des Statuts nehmen, die in Streitfällen den Besatzungsbehörden das letzte Wort einräumen.
Mit der Durchführung des im nordrhein-westfälischen Landtag beschlossenen Gesetzes kann daher nur gerechnet werden, wenn das zukünftige westdeutsche Parlament über eine starke linke Mehrheit verfügen sollte oder wenn die Bonner Verfassung und das Besatzungsstatut einen Volksentscheid über diese Frage ermöglichen. Die Offenhaltung dieser Möglichkeit ist lebenswichtig. In der Zwischenzeit muss mit großer Wachsamkeit die Auswahl der deutschen Ruhrtreuhänder und deren Tätigkeit kontrolliert werden.
To make the best of it (»Versuchen wir, das Beste herauszuholen!«) – so würde man in England sagen. Der wichtigste Ausgangspunkt jeder deutschen Politik ist, dass Deutschland nur gesunden kann, wenn Westeuropa gesundet – hierzu ist die Erhaltung und die Mitarbeit der französischen Mitte nötig. Die Ruhrbehörde kann ein Schritt auf diesem Wege sein, es gilt alle Möglichkeiten zu nutzen, die in ihr liegen. Verbitterung und Empörung zu schüren, kann diese Möglichkeiten nur verschlechtern. Wer eine Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens wünscht, muss Enttäuschungen verwinden können – und nur wer selber nachzugeben bereit ist, hat ein Recht, vom andern die gleiche Bereitschaft zu fordern. Die jüngste Entschließung der Sozialisten des Seine-Departements unter der Führung Marceau Piverts ist im Geiste internationaler Solidarität ein gutes Omen für die künftige Entwicklung des Problems: sie fordert internationale Kontrolle der gesamten westeuropäischen Schwerindustrie.
Auf dem Weg zur Wirtschafts- und Währungsunion
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