Mein Frankreich (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Tage;
Suez–Bombay, Dampfschiff 13 Tage;
Bombay–Kalkutta, Eisenbahn 3 Tage;
Kalkutta–Hongkong (China), Dampfschiff 13 Tage;
Hongkong–Yokohama (Japan), Dampfschiff 6 Tage;
Yokohama–San Franzisco, Dampfer 22 Tage;
San Franzisco–New York, Eisenbahn 7 Tage;
New York–London, Dampfer und Eisenbahn 9 Tage.
Total: 80 Tage.
›Tatsächlich, bloß achtzig Tage!‹ rief Andrew Stuart … ›aber da müssen auch noch das schlechte Wetter, die Gegenwinde, ein möglicher Schiffbruch, Zugentgleisungen einberechnet …‹
›Alles inbegriffen‹, antwortete ihm Phileas Fogg.
›Auch wenn Hindu oder Indianer die Schienen aufreißen, die Züge anhalten, die Postwagen plündern und die Reisenden skalpieren, auch dann?‹ ereiferte sich Andrew Stuart.
›Alles inbegriffen‹, wiederholte Phileas Fogg.« 1
Es ist die Botschaft Jules Vernes, es gebe in einer technisch gesättigten Zivilisation keine Abenteuer mehr, sondern nur noch die Gefahr der Verspätung. Darum legt der Autor Wert auf die Beobachtung, daß sein Held keine Erfahrungen macht. Herrn Foggs imperiales Phlegma darf sich durch keine Turbulenz beirren lassen, denn als Globalreisender ist er der Aufgabe enthoben, dem Lokalen Respekt zu bezeigen. Nach der Herstellung von Umrundbarkeit ist die Erde für den Touristen selbst auf den fernsten Schauplätzen bloßer Inbegriff von Situationen, von denen die Tageszeitungen, die Reiseschriftsteller und die Enzyklopädien längst ein kompletteres Bild geliefert haben. So versteht sich, warum das sogenannte Fremde dem Durchreisenden kaum eines Blickes wert ist. Welche Zwischenfälle sich auch ereignen, ob eine Witwenverbrennung in Indien oder ein Indianerüberfall im amerikanischen Westen, es kann sich im Prinzip nie um etwas anderes handeln als um Vorgänge und Umstände, über die man als Mitglied des Londoner Reform-Clubs vollständiger informiert ist als der Tourist am Ort. Wer unter solchen Bedingungen reist, tut dies weder zum Vergnügen noch aus geschäftlichen Gründen, sondern der Bewegung als solcher zuliebe; ars gratia artis; motio gratia motionis . 2
Seit den Tagen des Giovanni Francesco Gemelli Careri (1651-1725) aus Kalabrien, der aus Verdruß über Familienstreitigkeiten in den Jahren 1693 bis 1697 eine Weltumsegelung unternahm, ist der Typus des Weltreisenden ohne Geschäftsinteressen, der Tourist, eine im Spielplan der Moderne etablierte Größe. Sein 1699 publizierter Giro del Mondo gehört zu den Gründungsdokumenten einer Literatur der Globalisierung aus purer Laune. Auch Gemelli Careri machte sich den Habitus des Entdeckers zu eigen, der glaubte, das Mandat des Zeitgeistes zu besitzen, zu Hause von seinen Erfahrungen draußen zu berichten. Seine mexikanischen Beobachtungen und seine Schilderung der Pazifikpassage galten noch Generationen später als ethno-geographisch respektable Leistungen. Auch wenn sich spätere Weltenbummler einem subjektiv geprägten Berichtstil zuwendeten, blieb die Liaison von Reisen und Schreiben bis ins 19. Jahrhundert unangetastet. Noch 1855 konnte das Brockhaussche Conversationslexicon konstatieren, einen Touristen nenne man »einen Reisenden, der keinen bestimmten, z.B. wissenschaftlichen Zweck mit seiner Reise verbindet, sondern nur reist, um die Reise gemacht zu haben und sie dann beschreiben zu können«.
Bei Jules Verne hat der Weltreisende seinem dokumentaristischen Beruf entsagt und ist zum reinen Passagier geworden. Er präsentiert sich als Kunde von Transportdiensten, der dafür bezahlt, daß seine Reise zu keiner Erfahrung wird, von der danach zu berichten wäre. Die Weltumrundung ist für ihn eine sportliche Leistung und keine philosophische Lektion, ja nicht einmal mehr Teil eines Erziehungsprogramms. Darum darf Phileas Fogg sprachlos bleiben wie ein Sportler.
Was die technische Seite der Weltumrundung in 80 Tagen anbelangte, war Jules Verne im Horizont des Jahres 1874 kein Visionär: In Rücksicht auf die ausschlaggebenden Verkehrsmittel, Eisenbahn und Schraubendampfer, die Hauptmotoren der Transport»revolution« im mittleren und späteren 19. Jahrhundert, entsprach die Reise seines Helden exakt dem Stand der Kunst, apathische Engländer von A nach B und zurück zu bringen. Nichtsdestoweniger haften an der Figur des Phileas Fogg prophetische Züge, sofern er als Prototypus des verallgemeinerten blinden Passagiers auftritt, dessen einziger Bezug zu den vorbeigleitenden Landschaften in seinem Durchquerungsinteresse besteht. Der stoische Tourist
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