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Die tote Schwester - Kriminalroman

Die tote Schwester - Kriminalroman

Titel: Die tote Schwester - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Brueggenthies
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    Er blickte in den Abgrund.
    Unter ihm, zweihundertsechzig Meter unter ihm, sahen die Menschen so klein aus wie Ameisen. Sie waren Ameisen, bewegten sich als Teil eines nicht zu erkennenden Plans von links nach rechts, von rechts nach links.
    Nein, es gab keinen Plan.
    »Ich will noch eine Etage höher«, sagte eine fordernde Stimme neben ihm.
    Als sie unten in der Schlange gestanden hatten, jenseits einer Absperrung aus hochglänzendem Messing, war er noch von Angst erfüllt gewesen. Ein massiv wirkender, dunkelhäutiger Sicherheitsbeamter mit Headset beäugte die vielen wartenden Menschen misstrauisch von der Seite. Vor ihnen, an einer Durchleuchtungsanlage, überprüften zwei weitere Beamte alle Besucher und deren Taschen.
    Noch fünf Meter, dann waren sie an der Reihe.
    Sein Unbehagen rührte nicht von der Atmosphäre der Furcht her, die diesen Ort durchdrang. Er beobachtete die verschiedenen Mechanismen, die hier für Sicherheit sorgen sollten, eher mit neutralem, fast professionellem Interesse.
    Nein, für ihn war das Gefühl unangenehm, nicht genau zu wissen, was sich hinter der Absperrung befand. Es würde keine offene Spindeltreppe sein, sicherlich, aber ihm war auch schon einmal in einem gläsernen Fahrstuhl unwohl geworden, der außen an einer Häuserfassade nach oben schoss.
    Hinzu kam, dass seine Freundin ihn für einen Angsthasen halten würde, wenn er jetzt beschloss umzukehren. Vielleicht würde er sogar verhaftet, weil die Sicherheitsbeamten dann glaubten, er wolle sich vor der Kontrolle drücken.
    Noch zwei Meter. Der ältere Beamte an der Durchleuchtungsanlage untersuchte minutiös die Spiegelreflexkamera einer Asiatin, seine athletische junge Kollegin mit einem knappen Marines-Haarschnitt winkte deren Mann mit widerwilliger Miene durch.
    »Du hast ganz feuchte Finger«, sagte Lena zu ihm.
    Nun fiel es auch Zbigniew auf. Wie unangenehm.
    »Mir ist nur warm.«
    Er ließ Lena los, rieb die Innenfläche seiner rechten Hand mit einer unauffälligen Bewegung an der Jeans ab.
    »Du kannst auch unten bleiben, wenn du dich nicht traust«, grinste Lena. Zbigniew zwang sich zu einem Lächeln. Sie konnte nicht wissen, dass er schon als Kind keine Karussells gemocht hatte, bei denen man den Boden unter den Füßen verlor.
    Er war an der Reihe und gab dem Beamten seinen Rucksack. Die Kollegin bedeutete ihm, durch die Durchleuchtungsanlage zu gehen. Nichts passierte. Er erhielt seinen Rucksack zurück, auch Lena wurde sehr schnell abgefertigt.
    Nichts war geschehen.
    Sie folgten den anderen Touristen im langsamen Schlenderschritt durch einen Gang. Durch riesige Fenster mit goldenen Rahmen sah man die Radio City Music Hall auf der anderen Seite der Straße.
    Zbigniew und Lena verweilten einige Minuten in einer Ausstellung über die Geschichte des Gebäudes, in dem sie sich befanden, dann gingen sie weiter zu den Fahrstühlen. Ein Witze reißender, schwarzer Uniformierter teilte die Besucher in verschiedene Warteschlangen vor den vier Aufzugschächten ein. Bald öffnete sich die Tür vor ihnen.
    Ein normaler Fahrstuhl. Zbigniew atmete innerlich auf. Die Touristen quetschten sich in die Enge, dann schloss sich die Tür. Der Fahrstuhlführer drückte die 67. Zbigniew konnte es nicht sehen, aber er wusste aus dem Reiseführer, dass es die 67 war.
    Der Aufzug raste in die Höhe, ein leichtes Raunen ging durch die Menge. Der Aufzugführer erzählte in schnellem Englisch etwas, das Zbigniew nicht verstand. Und dann leuchtete völlig unerwartet das Dach des Fahrstuhls – nein, es wurde gläsern, durchsichtig. Die Köpfe der Touristen reckten sich in die Höhe. Scheinwerfer auf dem Fahrstuhldach strahlten nach oben in den unendlichen Schacht hinein, während die Kabine raketenähnlich in die Höhe schoss. Ein Jubel in der Menge. Zbigniew blickte fasziniert mit den anderen nach oben, er war auf einer transzendentalen Reise in eine andere Welt.
    Das Ende des Schachts kam mit hoher Geschwindigkeit näher, mit beängstigender Geschwindigkeit. Zbigniew glaubte sich einen Moment lang einer Panikattacke nah, konnte aber seinen Blick trotzdem nicht vom heranrauschenden Ende des Schachts abwenden. In letzter Sekunde bremste der Fahrstuhl dann erstaunlich sachte ab, elegant, ohne dass er einen Druck auf seinem Körper spürte. Das Scheinwerferlicht war mit einem Mal verschwunden, das Fahrstuhldach sah wieder völlig normal aus.
    Wenige Sekunden später öffnete sich lautlos die Tür des Fahrstuhls. Ein paar seltsame, vermutlich

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