Mein Freund Dewey, der beruehmteste Kater der Welt
ihrem Camcorder ihrerseits Dewey filmten. Ich zeigte dem Mädchen, das fünf oder sechs Jahre alt sein mochte, den Dewey-Tragegriff und wie sie sacht hin und her schaukeln sollte, damit er seinen Kopf auf ihren Rücken hinunterhängen ließ und die Augen schloss. Die Familie blieb eine Stunde lang und das japanische Filmteam ging kurz danach. Als alle fort waren, schlief Dewey völlig erschöpft ein.
Wir erhielten zwei Kopien des Films auf DVD. Der Elektronikladen an der Ecke lieh uns ein riesiges Fernsehgerät und wir luden zu einer Filmvorführung in die Bücherei ein. Mittlerweile war Dewey auch im kanadischen und neuseeländischen Fernsehen zu sehen gewesen, Zeitungen und Zeitschriften aus Dutzenden von Ländern hatten über ihn berichtet und seine Fotos kannte man inzwischen in aller Welt. Aber das hier war anders: Es war eine Sendung, die weltweit ausgestrahlt wurde.
Ich hatte kurz mal in den Film hineingeschaut und war deshalb ein wenig nervös. Es war der Bericht einer Reise durch die Welt der Büchereikatzen und handelte 26 Katzen ab, eine für jeden Buchstaben des Alphabets – unseres lateinischen Alphabets wohlgemerkt, obwohl es ein japanischer Film war.
Ich hielt eine kleine Einführungsrede: »Der Film zeigt viele Katzen. Dewey kommt gegen Ende und gesprochen wird in dem Film nur japanisch. Deshalb sollten wir zuvor abstimmen: Wollen wir gleich zu der Stelle gehen, an der Deweys Teil anfängt, oder sehen wir uns den ganzen Film an?«
»Den ganzen Film! Den ganzen Film!«
Zehn Minuten später riefen alle: »Vorspulen! Vorspulen!« Es war – vorsichtig ausgedrückt – überaus langweilig, herumsitzende Katzen zu sehen und Interviews zu hören, die man nicht verstand.
Als wir zum Buchstaben W kamen, hallte ein Aufschrei durch das Publikum und weckte alle, die inzwischen eingenickt waren. Da war unser Dewey, mit dem Untertitel Working Cat (»Berufstätige Katze«) auf Englisch und auf Japanisch. Und da war ich: Ich ging durch den Regen zur Bücherei, während der Kommentator irgendetwas auf Japanisch erzählte. Wir verstanden nur drei Wörter: »Amerika, Iowa, Spencer«. Wieder ging ein Jubelruf durch den Raum. Einige Sekunden später verstanden wir: »Dewey a-Deedamore Booksa!«
Und nun sah man Dewey an der Eingangstür sitzen (und ich muss zugeben, dass es noch netter ausgesehen hätte, hätte er gewunken). Danach kamen Aufnahmen von Dewey, in einem Buchregal sitzend. Dewey, der zwischen zwei Buchreihen durchging. Dewey sitzend und wieder sitzend. Dewey, wie er unter einem Tisch von einem kleinen Jungen gestreichelt wurde … und dann wieder sitzend. Nach anderthalb Minuten war es vorbei. Kein kleines Mädchen, das Dewey auf dem Schoß hielt. Kein Dewey über der Schulter, keine Fahrt im Bücherwagen und keine Familie aus New Hampshire. Sie hatten nicht einmal die Aufnahme verwendet, in der Dewey oben auf dem Buchregal entlangging, sich zwischen den Büchern hindurchschlängelte und am hinteren Ende hinuntersprang. Für anderthalb Minuten Filmaufnahmen einer sitzenden Katze waren sie um die halbe Welt geflogen!
In der Bücherei herrschte erschüttertes Schweigen.
Und dann brach lauter Jubel los. Unser Dewey war ein internationaler Star. Jetzt hatten wir den Beweis. Was machte es schon aus, dass wir den Kommentar nicht verstanden hatten oder dass der Beitrag über Dewey kaum länger gewesen war als eine Werbepause? In dem Film konnte man unsere Bücherei sehen, unsere Bibliothekarinnen und unseren Dewey. Und der Kommentator hatte ganz deutlich gesagt: »Amerika, Iowa, Spencer«.
Diesen japanischen Dokumentarfilm vergaß die Stadt Spencer nie. Die beiden Kopien werden in der Bücherei aufbewahrt, doch es will sie nie jemand ansehen. Puss in Books , der Dokumentarfilm von Gary Roma, ist wesentlich beliebter. Aber der Besuch eines japanischen Filmteams in Spencer wird für immer ein unvergessliches Ereignis bleiben. Sowohl der Lokalsender des Radios als auch die Tageszeitung berichteten ausführlich darüber und monatelang kamen die Leute in die Bücherei, nur um darüber zu reden.
»Wie waren die Filmleute denn so?«
»Was haben sie gegessen?«
»Was haben sie sonst noch gemacht, als sie hier in der Stadt waren?«
»Was haben sie außerdem noch gefilmt?«
»Ist es nicht unglaublich?«
Natürlich waren die Einwohner von Spencer nicht die Einzigen, die sich den Film ansahen. Nachdem er gesendet worden war, erhielten wir mehrere Briefe aus Japan und vierzig Bestellungen für
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