Mein Freund Jossele
Ministers. >Herr!< rief er ihm zu, >seit Jahren sehne ich die Gelegenheit herbei, Ihnen meine Meinung ins Gesicht zu sagen. Jetzt ist es soweit. Sie sind ein Arschloch, Ihre Beamten sind unfähige Schwachköpfe oder Betrüger, und Ihr Ministerium ist eine Brutstätte der Korruption. Ich werde dafür sorgen, dass besonders die letztgenannte Tatsache allgemein bekannt wird. Worauf Sie sich verlassen können.< Damit ließ Grünspan den verdutzten Minister sitzen, ging in sein Zimmer zurück, packte seine Sachen und verschwand, ohne sich von irgendjemandem zu verabschieden. Erst als am nächsten Tag die Ziehungslisten herauskamen, stellte er fest, dass er einem Scherz aufgesessen war.« »Das ist aber eine grausame Geschichte, Jossele«, sagte ich. »Und ein grausames Ende.«
»Wieso grausam?« gab Jossele zurück. »Das Ende war, dass der Minister den sauern Grünspan tags darauf zum Generalsekretär ernannte.«
»Nun ja.« Ich brauchte eine kleine Pause, um meine Gelassenheit zurückzugewinnen. »So etwas war ja vorauszusehen. Aber im ganzen ist die Geschichte so negativ, dass ich sie lieber nicht schreiben möchte.«
»Wie du meinst«, sagte Jossele. »Dann schreib über die Tragödie der dicken Selma . . .«
»Sie war« - begann Jossele seinen Bericht - »die ewige Braut unseres Cafetiers Gusti. Ein prachtvolles Mädel, treu, liebevoll, häuslich und, wie gesagt, sehr dick. Die beiden lebten seit Jahren zusammen, aber von Hochzeit war nie die Rede. Das fiel der dicken Selma allmählich auf, und nach einigem Nachdenken entdeckte sie auch die Ursache. >Gut<, sprach sie zu sich, >ich werde abnehmen. Wenn ich erst einmal mein überschüssiges Fett los bin, ist alles in Ordnung.< Was tut man, um abzunehmen? Man lässt sich massieren. Gusti kannte eine Masseuse, mit der er auf bestem Fuß stand, ohne dass es zu etwas geführt hätte - vielleicht weil auch diese Dame sehr dick war, genau wie Selma. Sie wusste um das Geheimnis der Abmagerungsmassage und machte sich erbötig, Selma innerhalb Monatsfrist zu entfetten. Du kannst dir denken, wie es dabei zugegangen ist. Die dicke Selma lag auf der Pritsche, und die Masseuse fiel über sie her, schlug mit den Handkanten auf sie ein, knetete sie, rollte sie vom Bauch auf den Rücken und vom Rücken auf den Bauch, Tag für Tag, manchmal drei Stunden lang. Mit Unmut beobachtete Gusti den Erfolg der Behandlung. Ein Pfund nach dem anderen verschwand, das Fett wich fraulichem Charme, bis dahin verborgene weibliche Reize traten zutage, und nach einem Monat führte Gusti die Geliebte seines Herzens zum Altar. Alle Hochzeitsgäste waren sich darüber einig, dass sie noch nie eine so hübsche, schlanke Braut gesehen hatten wie Abigail.«
»Abigail?« unterbrach ich. »Wer ist Abigail?«
»Die Masseuse«, antwortete Jossele. »Oder hast du geglaubt, die dicke Selma hätte vom Massieren abgenommen?«
»Natürlich nicht.« Diesmal fasste ich mich etwas rascher. »Das war mir von vornherein klar. Aber die Geschichte eignet sich nicht für mich. Sie widerspricht meinen Moralbegriffen. Einen Mann, der gleich mit zwei Frauen in Sünde lebt, kann ich nicht brauchen.« »Dann bleibt nur noch Coco, der Bildhauer.« Jossele holte Atem und begann.
»Es ist eine mystische, fast schon ein wenig unheimliche Geschichte aus den Gefilden der Kunst und Kultur. Coco, ein nicht unbegabter Bildhauer, hatte in Frankreich und Italien ausgestellt und mehrere Preise gewonnen, aber er fühlte, dass er sein wirkliches Meisterwerk erst noch schaffen musste. Eines Morgens überkam ihn die Inspiration mit solcher Macht, dass er sein Atelier versperrte und fieberhaft an der Skulptur eines jungen Frauenkörpers zu arbeiten begann. Er geriet in einen wahren Taumel der Kreativität, unterbrach seine Arbeit immer nur für ganz kurze Zeit, um die Notdurft seines Leibes zu stillen, und ließ die Statue keine Minute lang allein. Zum Schluss - und niemand, der
>My Fair Lady< gesehen hat, wird davon überrascht sein - verliebte er sich in seine eigene Schöpfung. Er nannte sie >Venus von Gilead<, und wenn er des Nachts schlaflos auf seiner Bettstatt lag, flüsterte er ihren Namen leise und zärtlich in die Dunkelheit. Das Wunder geschah - die Götter erbarmten sich seiner und hauchten der Statue Leben ein. In einer sternklaren Nacht verließ die Venus von Gilead ihr Piedestal, trat an Cocos Bett, beugte sich zu ihm nieder und sagte: >Ich liebe dich!< Auf Erden lebt seither kein glücklicherer Mensch als Coco. Nur ein
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