Mein glaeserner Bauch
klar, dass es einen anderen Grund gab, weshalb sich mein Körper veränderte. In meinem Kleiderschrank würde ich im Laufe des Jahres noch so manche Teile austauschen, um es mit meinem Baby bequem zu haben. Ich konnte es kaum abwarten. Einige Hosen, die zunächst als Zielmarke des Anti-Winterspeck-Projekts gedient hatten, sortierte ich erleichtert schon mal aus.
Mein Lieblingsgetränk wurde Grapefruitsaft. Süß und sauer, frisch und bitter. Anflüge von Übelkeit hielten sich in Grenzen. Jetzt wusste ich ja auch, woher sie kamen, und konnte gelassener damit umgehen. Klaus grinste, wenn sich mein Sodbrennen mal wieder in kleinen gurgelnden Geräuschen bemerkbar machte, denn erfolglos hatte er auf langen Wanderungen schon mehrmals versucht, mich mit der hohen Kunst des Rülpsens vertraut zu machen.
Nun machte er Pläne, wo das Baby in unserer Wohnung seinen ersten Platz bekommen sollte und wie wir uns die anstehenden Aufgaben teilen könnten. Erziehungsurlaub für beide Elternteile, Teilzeitarbeit auch für Väter, so etwas musste ich ihm nicht erst schmackhaft machen. Alles war gut.
Eine Freundin, selbst Mutter von zwei Kindern, warnte mich mit nüchterner Fürsorglichkeit, die ersten drei Monate lieber abzuwarten. Man wisse ja nie so genau. Innerlich rückte ich spontan ein Stück von ihr ab. Auch Klaus bekam von einer Kollegin den Rat, er solle sich nicht zu früh freuen, es könne immer noch was passieren. Das erzählte er mir allerdings erst später.
Jemand sagte sehr direkt, ich als Spätgebärende würde doch sicher eine Fruchtwasseruntersuchung durchführen lassen. Für sie war das selbstverständlich, weil das erste Kind ihrer Schwester geistig und körperlich behindert zur Welt gekommen war. Ich fand ihre Frage trotzdem verletzend, denn ich hatte ihr von meiner Schwangerschaft erzählt, um meine Freude mit ihr zu teilen, nicht um drohende Gefahren für mein Kind heraufbeschwören zu lassen. Warum durften wir uns nicht einfach freuen? Guter Hoffnung sein?
Klaus hatte ich meine Überzeugung bereits mitgeteilt. Ich wollte das Leben unseres Kindes nicht riskieren durch irgendwelche Nadeln, mit denen mir durch die Bauchdecke bis in die Gebärmutter gestochen wurde. Und vor allem wollte ich keine Entscheidung treffen müssen gegen dieses Kind, wenn der Befund auffällig sein sollte.
Ich wollte unser Kind nicht nur auf Probe annehmen. Meine Gefühle einfrieren, bis irgendjemand grünes Licht gab. Bis Tests ein gesundes Kind bestätigten. Was sollte ich mit einem Befund, der möglicherweise etwas anderes aussagte? Sollte ich mich gegen mein Kind stellen, über Leben und Tod meines eigenen Kindes entscheiden?
Ich brauchte keine Fruchtwasseruntersuchung, und ich war mir instinktiv sicher, das Richtige zu tun. Statistiken, von denen ich gehört hatte, legte ich zu meinen Gunsten aus. Schließlich kamen auch die allermeisten Kinder von sogenannten Spätgebärenden gesund zur Welt.
Die häufigste Chromosomenabweichung ist die Trisomie 21, so genannt, weil das einundzwanzigste von dreiundzwanzig Chromosomen in jeder Zelle nicht doppelt sondern dreifach vorhanden ist. Trisomie 21 führt zu Behinderungen, die unter dem Namen Down-Syndrom bekannt sind. Weltweit hat durchschnittlich bei siebenhundert Geburten ein Kind Trisomie 21.
Die Wahrscheinlichkeit für Spätgebärende, ein Kind mit Down-Syndrom zu bekommen, liegt mit fünfunddreißig Jahren bei etwa 0,3 Prozent, das heißt drei von tausend Frauen im gleichen Alter müssen damit rechnen, dass ihr Kind behindert sein wird. Bei Vierzigjährigen trifft es eine von hundert Schwangeren. Und selbst bei sechsundvierzigjährigen Müttern – das Alter, in dem ich damals schwanger war – bekommen fünfundneunzig von hundert Frauen ein Kind ohne Down-Syndrom. Völlig unabhängig davon, ob sie sich pränataldiagnostisch untersuchen lassen oder nicht.
Das Deutsche Ärzteblatt berichtet, dass etwa jedes fünfzehnte Neugeborene mit einer großen Fehlbildung zur Welt kommt, jährlich also nahezu fünfzigtausend Kinder in Deutschland mit einer Behinderung geboren werden. Was übrigens der Anzahl der jährlichen Neuerkrankungen an Brust- oder Lungenkrebs entspricht. 12
Die Ursachen der kindlichen Fehlbildungen sind in fast zwei Dritteln der Fälle unbekannt. Ausgelöst werden können sie durch Medikamente, Chemikalien, Strahlung, Alkohol und andere Drogen, aber auch durch Folsäuremangel vor und am Anfang der Schwangerschaft. Etwa zwanzig Prozent der Fehlbildungen sind
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