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Mein grosser Bruder

Mein grosser Bruder

Titel: Mein grosser Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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haben.
    Dann kam das Stichwort; wir glitten leicht und unbeschwert durch die Glastür und verschwanden in den Kulissen.
    Als wir später zusammen tanzten und das Publikum uns nur von ferne sah, redete Torsten relativ vernünftig. Ich fragte ihn, wie lange er diese Beschäftigung schon ausübe, und er erzählte, es sei seine zweite Saison.
    „Was tust du sonst, Torsten?“
    „In dicken Büchern lesen. Ich nenne es studieren. Mit dieser Tätigkeit beim Theater friste ich mein Leben. Und du? Was machst du?“
    Ich erzählte, daß ich meinem Bruder das Haus führte.
    „Was sagt er denn dazu, daß du plötzlich fast nackt hier im Theater herumflatterst?“
    „Er weiß es nicht“, sagte ich, und mein Herz sank ganz tief. Jetzt bekam ich wirklich Magenschmerzen bei dem Gedanken, was Johannes sagen würde, mein armer Bruder Johannes. „Er ist schrecklich brav“, erklärte ich. „Ich habe mich einfach nicht getraut, es ihm zu erzählen. Er paßt auf mich auf wie ein strenger Vater, der außerdem Vorsitzender eines Sittlichkeitsvereins ist.“
    „Himmel“, sagte Torsten, „der sollte dich mal in dem Tangaslip sehen! Dann setzt es was!“
    „Aber, Torsten!“
    „Du siehst aus, als ob du mich ernst nähmst. Wie alt bist du denn, Vivi?“
    „Bald zwanzig.“
    „Na, dein Glück! Es hätte schlimmer für dich ausgesehen, wenn du erst vierzehn gewesen wärest. So, nun können sie da vorne auf unsere wertvolle Mitarbeit verzichten. Darf ich mir erlauben, Madame in ihre luxuriöse Garderobe zu begleiten?“
    „Da brauchst du dich gar nicht lustig zu machen. Ich teile die Garderobe mit Elsa. Sie hat sie ja allein, weil Fräulein Brandt in diesem Stück nicht dabei ist.“
    „Hoho, du teilst die Garderobe mit der Primadonna? Großartig. Ich komme mit hinein und setze unsere geistreiche Unterhaltung dort fort. Bei uns unten ist es etwas übervölkert.“
    Wir blieben sitzen und plauderten bis zum Aktschluß.
    Dann hörten wir das Rascheln des Vorhanges und den Applaus, erst schwach – dann schlug er uns entgegen, als der Vorhang aufging – wurde wieder schwächer. Und das wiederholte sich mehrere Male.
    Dann kam Elsa. Warm und rot unter der Schminke. „Gute Stimmung, Kontakt vom ersten Augenblick. Verschwinde, Torsten, oder suche dir was anderes zum Angucken.“
    Torsten zog das letztere vor. Er drehte Elsa den Rücken zu, und sie schlüpfte aus dem Kleid, stand einen Augenblick da in Höschen und Büstenhalter und zog den Tennisanzug an, den sie im zweiten Akt tragen sollte.
    Schon an diesem ersten Abend bekam ich einen Einblick in die selbstverständliche Kameradschaft am Theater.
    Umziehen und Schminken gehörten zur Arbeit, die Schauspieler waren es gewohnt, einander in allen möglichen Kostümen – oder fast ohne Kostüm – zu sehen.
    Ein paar lange nackte Beine oder ein halbnackter Körper waren durchaus keine Sensation. Diese unbefangene Gelassenheit war so ganz frei von Schwüle.
    Es ist möglich, daß ängstliche Moraltanten recht haben mit dem gefährlichen Einfluß der Theaterluft. Aber daß Kameradschaft und Kollegialität viel mehr in die Augen fallen als eine „gefährliche“ Atmosphäre, das ist sicher. Und wahrhaftig glaube ich, daß junge, halbbekleidete Schauspielerinnen, für die diese Kostüme zu ihrer Arbeit gehören, mindestens so moralisch sind wie manche älteren Tanten, die unter einem ehrbaren Deckmantel in ihrem hochanständigen Kaffeeklatsch häßlich von ihrem Nächsten reden.
    Dann kam meine Bade-Szene, und da machte ich eine merkwürdige Entdeckung. Zum ersten Male in meinem Leben wurde es mir bewußt, daß ich hübsch war. Als ich mit dem großen Ball über die Bühne tanzte, wußte ich, daß die Leute meinen Körper betrachteten, und ich zeigte ihn ihnen – mein ganzes Bewußtsein konzentrierte sich in den wenigen Sekunden nur auf dies eine: Ja, ich bin hübsch und bin jung! Ich weiß auch, daß ihr das findet, und das ist wunderschön.
    Dann warf ich den Ball, sprang über das Geländer, und da stand Torsten und fing mich auf der Matratze auf. Er hüllte mich in einen Bademantel.
    „Na, na“, sagte ich, „hast du moralische Anwandlungen meinetwegen?“
    „Es gibt ein paar ungeschriebene Gesetze beim Theater. Zeige dich so nackt, wie das Stück es verlangt, wenn du auf der Bühne bist. Kleide dich in der Kulisse um, wenn es eilt und du nicht in die Garderobe gehen kannst. Aber unterlaß es, einer Dame zuzusehen, wenn sie sich in deiner Nähe umkleidet. Es wäre genauso

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