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Mein grosser Bruder

Mein grosser Bruder

Titel: Mein grosser Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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ungehörig, wie einem Mädel zuzusehen, das sich am Strand auszieht. Daß du beinahe ,netto’ auftrittst, das ist in Ordnung. Aber wenn dein Auftritt fertig ist, brauchst du deine Reize nicht länger zur Schau zu stellen. So, jetzt kannst du hineingehen und dich abschminken.“
    Er folgte mir in die Garderobe. Ich stand da, von Kopf bis Fuß in einen alten Bademantel gehüllt.
    „Ich hätte Lust, dir eine ganze Menge über das Theaterleben zu erklären, Vivi“, sagte er. „Und das wird noch kommen. Aber gerade jetzt ist es wohl besser, du entfernst rasch die Kriegsbemalung und gehst heim zum Gerichtstag bei deinem Bruder. Denn auf die Dauer kannst du dein Doppelleben doch nicht vor ihm geheimhalten.“
    „Nein“, sagte ich kläglich.
    Torsten sah mich an.
    „Ich glaube wahrhaftig, du hast Angst.“ Er nahm mich in die Arme, und es tat gut, den Kopf an seine Schultern zu lehnen. „Ja. Ich habe Angst, Torsten.“
    „Arme Kleine“, sagte Torsten und der Klang seiner Stimme ließ mir das Blut in die Wangen steigen.
    Er griff unter mein Kinn und hob meinen Kopf in die Höhe. Und dann küßte er mich.
    Das war sonderbar, höchst sonderbar.
    „Vivi“, sagte Torsten, und seine Stimme war leise und verwundert, beinahe etwas unsicher, „du willst doch nicht etwa sagen, daß… daß dies dein erster Kuß war?“
    „Doch, Torsten“, flüsterte ich, und meine Wagen brannten wie Feuer.
    „O mein Gott“, sagte Torsten, und seine Arme umschlossen mich fest, „o mein Gott!“
    Dann küßte er mich wieder. Nun war es nicht mehr bloß sonderbar, es war auch wunderschön.
    Ja, je mehr ich daran dachte, desto schöner schien es mir.

Mittagsgäste
     
     
    Geschlafen habe ich diese Nacht nicht besonders gut. Der Tag hatte mir ein bißchen viel auf einmal gebracht. Erst die Sorge, wie ich von daheim fortkäme. Dann die Premierenstimmung, die auf jeden einzelnen kleinen Statisten abfärbte. Die merkwürdige Ereude, die mich beseelte, als ich über die Bühne wirbelte und tanzte. Dann die Magenschmerzen, weil ich Johannes beichten mußte. Und dann – Torstens Küsse.
    Das allein wäre genug gewesen, um mich wach zu halten.
    Ob es wohl ein Mädchen auf der Welt gibt, das ruhig und unangefochten schläft, nachdem es den ersten Kuß bekommen hat?
    Ja, vielleicht wenn sie es – wie die meisten – mit vierzehn Jahren erlebt. Aber ich war neunzehn! Also in hohem Maße ein Spätentwickler! Niemand hätte es mir geglaubt, deswegen hatte ich es auch verschwiegen. Eigentlich konnte ich Torstens Ausruf „O mein Gott!“, als er es erfuhr, gut verstehen. Aber -Torsten hatte es mir geglaubt, und er hatte mich nicht damit aufgezogen, hatte keine Witze darüber gemacht. Er hatte es als die äußerst erstaunliche Tatsache hingenommen, die es auch war.
    Ich empfand abwechselnd Angst und Freude. Bald schoß mir das Blut in die Wangen, weil ich Torstens Arme in Gedanken um mich fühlte. Bald wurde mir eiskalt, wenn ich daran dachte, was mein strenger Bruder zu der Statistinnenrolle seiner Schwester sagen würde.
    Ich entwarf mindestens zehn verschiedene Pläne, wie ich es Johannes beibringen wollte. Und ich hörte die ganze Zeit Torstens verwunderte warme Stimme: „Ich glaube wahrhaftig, du hast Angst.“
    Unsinn! Ich wollte keine Angst haben. War es vielleicht keine ehrliche Sache, einen kleinen Job zu haben und ein bißchen Geld zu verdienen?
    Ach was! Es würde schon gutgehen. Ich würde mit meinem sanftesten Lächeln zu Johannes gehen.
    „Weißt du, Johannes“, würde ich sagen, „ich habe eine Stellung bekommen“, und dann würde ich davon erzählen wie von der natürlichsten Sache der Welt.
    Ach ja. Es ist so leicht zu planen. Alles kommt einem dabei ganz vernünftig und einfach vor. Schlimm wird es meist erst dann, wenn der Plan ausgeführt werden soll.
    Trotzdem ging es besser, als ich gedacht hatte.
    „Na, mein unsolides Schwesterchen“, sagte Johannes beim Frühstück. „Du siehst recht müde aus, Vivi. Willst du nicht versuchen, von jetzt an ein paar Abende zeitig zu Bett zu gehen?“
    Ich murmelte etwas und schenkte den Kaffee ein. Johannes sah mich prüfend an. Sein Blick glitt vom Gesicht auf die Mitte meines Halses hin.
    „Was hast du denn für einen braunen Fleck am Hals, Vivi?“ Ich griff an den Hals. Du liebe Zeit, das war die Schminke die ich nicht ordentlich abgekriegt hatte!
    Mut, Vivi, dachte ich. Prügeln kann er dich ja nicht – hoffentlich nicht! Und so nahm ich alle Selbstsicherheit zusammen, über

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