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Mein grosser Bruder

Mein grosser Bruder

Titel: Mein grosser Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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Mund an.
    Was ging in ihm vor? Hatten meine Worte etwas in ihm aufgetaut, hatten sie einen Riß in den Panzer seiner Vernunft und Bravheit geritzt? Hatte ich ihm unrecht getan?
    Als ich aufstand, um ihm mehr Kaffee einzuschenken, blieb ich einen Augenblick hinter seinem Stuhl stehen und strich ihm über die Haare. „Lieber Johannes“, sagte ich.
    Das hatte ich auch vorher oft gesagt. Aber nun merkte ich selbst, daß ich es auf eine andere Weise sagte. Das war nicht das respekterfüllte kleine Schwesterchen, das es in Bewunderung und Dankbarkeit sagte. Die erwachsene Schwester sagte es, und es stand Mitleid dahinter, Mitleid mit ihrem guten und einsamen Bruder.
    Ja, selbst die Handbewegung, mit der ich ihm über das Haar strich, war neu, war die einer erwachsenen Frau. Ich war seit zehn Stunden erwachsen. Ich wurde es im Laufe von fünf Minuten, in Torstens Armen und mit Torstens Küssen.
    Elsa rief an. „Hast du die Kritiken gelesen, Vivi? Kannst du dir vorstellen, daß ich ganz aus dem Häuschen bin?“
    Ja, natürlich hatte ich die Zeitungen gelesen, kaum, daß Johannes gegangen war. Ich gratulierte Elsa und fragte, was sie sich heute vornehmen wollte.
    „Weiß ich nicht. War bei einem Nachspiel bis drei heute nacht und bin müde wie ein Kuli.“
    „Komm und iß mit uns zu Mittag, ich werde etwas Gutes kochen.“
    Warum ich sie plötzlich zum Essen eingeladen hatte, wußte ich selber nicht. Vielleicht, weil ich das Eisen schmieden wollte, solange es warm war, und Elsas Hilfe bei Johannes brauchte. Elsa versprach zu kommen.
    Jede Frau mit gesundem Verstand weiß, was ein extra gutes Essen bei einem Mann ausrichten kann. Sicher hat ein zartes Beefsteak mit knusprigen Zwiebeln schon oft eine eheliche Auseinandersetzung verhindert. Und sicher hat eine große Portion saftiger Karbonaden schon oft den Auftakt zu einem neuen Kleid gebildet oder die erwünschte Badereise in den Horizont der Möglichkeiten gebracht. Die einzige Frau, die ich kenne, die sich souverän über solche Praktiken erhebt, ist Mamilein. Was andere Frauen mit Hilfe eines lecker duftenden Hammelbratens eventuell zuwege bringen, gelingt ihr spielend bei einem Teller angebrannter Milchsuppe.
    Ich schmeichle mir, im Besitz meiner Instinkte zu sein, und die sagten mir, daß ich gerade an diesem Tag meinem Bruder etwas extra Gutes vorsetzen sollte. Also nahm ich die Frikadellen in Angriff, die meine Glanznummer im Kochunterricht des Internats gewesen waren, und den Apfelkuchen, den zu backen ich bis zur Vollkommenheit in England gelernt hatte.
    Ich summte und lächelte vor mich hin, während ich brutzelte und backte. Ich war ja so froh, so froh über Johannes’ kleinen Anflug zur Munterkeit und zum Verständnis heute morgen. Froh, weil Elsa zum Mittagessen kam, und froh, weil die Vorstellung ein Erfolg gewesen war. Und alle diese Freuden waren nur die Schale um das Eigentliche, das Wunderbare, das Herrliche: um die Tatsache, daß ich Torsten heute abend wieder treffen würde. Wir würden zusammen tanzen, und er würde mich auffangen, wenn ich über das Geländer sprang, und er würde mich zur Garderobe begleiten…
    Mein Herz war voller Freude. Heute abend würde Torsten mich wieder küssen…
    Gerade als ich über die Äpfel zum Kuchen gebeugt ,Torsten’ vor mich hin flüsterte, klingelte das Telefon. Es war Johannes. Er würde nicht zum Mittagessen kommen, er mußte sich in Abwesenheit des Direktors eines auswärtigen Geschäftsfreundes annehmen und mit ihm in der Stadt essen.
    Meine Enttäuschung war grenzenlos. Gibt es etwas Schlimmeres, als mitten in den festlichen Vorbereitungen zu einer einzigartigen Mahlzeit zu stehen und dann zu hören, daß dies alles vergebens ist?
    Aber dann kam mir die glorreiche Idee, Johannes könnte doch diesen auswärtigen Herrn mit heimbringen. Ich versicherte, daß ich massenhaft Essen hätte und gutes Essen, und ich würde es so behaglich machen.
    Johannes zögerte, ja zu sagen. Solch ein Vorschlag wurde ihm zum ersten Male gemacht.
    Aber schließlich willigte er ein.
    Und nun war mir das gute Essen für Johannes nicht mehr die Hauptsache. Ich ging mit vollen Segeln daran, ihm zu zeigen, daß er ein gastfreies Heim hatte, ein Heim mit einer Hausfrau, die verstand, es gemütlich zu machen. Ich wollte ihm Sicherheit geben und Gelegenheit, endlich einmal der Wirt an seinem eigenen Tisch zu sein.
    Elsa kam zuerst. Ich machte sie mit der Situation bekannt. Worauf Elsa ins Schlafzimmer ging und die Hälfte ihrer

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