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Mein Herz zwischen den Zeilen (German Edition)

Mein Herz zwischen den Zeilen (German Edition)

Titel: Mein Herz zwischen den Zeilen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult , Samantha van Leer
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Oliver erspähte am anderen Ende der Großen Halle eine einsame Gestalt, von Kopf bis Fuß in einen schwarzen Umhang gehüllt. Der Mann fiel vor Olivers Thron auf die Knie. »Euer Hoheit«, bat er, »rettet sie.«
    »Wen soll ich retten?«, wollte Oliver wissen. Frump, der immer schon ein guter Menschenkenner gewesen war, bleckte die Zähne und knurrte. »Platz, mein Junge«, murmelte Oliver und streckte dem Mann die Hand entgegen, um ihm aufzuhelfen. Einen Augenblick zögerte der Mann, dann klammerte er sich wie ein Ertrinkender daran. »Welcher Gram bedrückt Euch, guter Mann?«, fragte Oliver.
    »Meine Tochter und ich leben in einem Königreich weit entfernt von hier. Sie ist entführt worden«, flüsterte er. »Ich brauche jemanden, der sie retten kann.«
    Mit einem derartigen Anliegen war noch nie jemand zu Oliver gekommen. Normalerweise ging es darum, dass ein Nachbar dem anderen ein Huhn gestohlen hatte oder dass das Gemüse im Süden des Landes schlechter gedieh als im Norden. Oliver blitzte eine Vision durch den Kopf – wie er mit Rüstung und Pferd auszog, um ein edles Fräulein zu retten –, und sofort meinte er sich übergeben zu müssen. Der arme Mann konnte nicht wissen, dass er sich von allen Prinzen der Welt ausgerechnet den größten Feigling ausgesucht hatte. »Es gibt bestimmt einen anderen Prinzen, der besser dafür geeignet ist«, meinte Oliver. »Denn ich bin eigentlich noch ganz unerfahren.«
    »Der erste Prinz, den ich gefragt habe, hatte keine Zeit, weil in seinem Land Bürgerkrieg herrschte. Der zweite brach gerade zu einer Reise auf, um seine Braut abzuholen. Ihr seid der Einzige, der auch nur bereit war, mich anzuhören.«
    Olivers Gedanken überschlugen sich. Schlimm genug, dass er selbst um seine Ängstlichkeit wusste, aber was, wenn sich die Kunde von seiner Feigheit bis über die Grenzen des Königreichs hinaus verbreitete? Was, wenn dieser Mann in seiner Heimat jedem erzählte, dass Prinz Oliver kaum gegen eine Erkältung ankam … geschweige denn gegen einen Feind?
    Der Mann missdeutete Olivers Schweigen als Zögern und zog ein kleines, ovales Porträt aus seinem Umhang. »Das ist Seraphima«, sagte er.
    Oliver hatte noch nie ein so liebreizendes Mädchen gesehen. Ihr helles Haar glänzte wie Silber; ihre Augen hatten das Violett königlicher Roben. Ihre Haut schimmerte wie das Mondlicht, mit einem Hauch von Rot auf Wangen und Lippen.
    Oliver und Seraphima. Seraphima und Oliver. Das klang irgendwie gut.
    »Ich werde sie finden«, versprach Oliver.
    Frump sah ihn an und winselte.
    »Sorgen kann ich mir später machen«, flüsterte Oliver ihm zu.
    Der Mann fiel vor Dankbarkeit hintenüber, und dabei öffnete sich für den Bruchteil einer Sekunde sein Umhang so weit, dass Oliver ein verzerrtes, narbiges Gesicht sah und Frump erneut zu bellen begann. Während der Vater des Mädchens sich untertänig zurückzog, sank Oliver auf seinem Thron zusammen, stützte den Kopf in die Hände und fragte sich, was um alles in der Welt er sich da gerade aufgehalst hatte.
    »Kommt nicht in Frage«, verkündete Königin Maureen. »Oliver, die Welt da draußen ist gefährlich.«
    »Die Welt hier drinnen auch«, erklärte Oliver. »Ich könnte die Treppe hinunterfallen. Ich könnte mich am Abendessen vergiften.«
    Die Augen der Königin füllten sich mit Tränen. »Das ist nicht witzig, Oliver. Du könntest sterben.«
    »Ich bin nicht Vater.«
    Kaum war es heraus, bereute er es bereits. Seine Mutter ließ den Kopf hängen und trocknete sich die Augen. »Ich habe alles getan, um dich zu beschützen«, jammerte sie. »Und das willst du aufs Spiel setzen für ein Mädchen, das du nicht einmal kennst?«
    »Und wenn nun vorgesehen ist, dass ich sie kennenlernen soll?«, fragte Oliver. »Wenn ich mich in sie verliebe wie du in meinen Vater? Ist es die Liebe nicht wert, dass man ein Risiko für sie eingeht?«
    Die Königin hob den Kopf und sah ihren Sohn an. »Es gibt etwas, das ich dir erzählen muss«, sagte sie.
    Die folgende Stunde saß Oliver wie gelähmt da und hörte zu, wie seine Mutter ihm von einem Jungen namens Rapscullio erzählte und von dem bösen Mann, zu dem er geworden war; von einem Drachen und drei Feen; von den Gaben, die ihm bei seiner Geburt verliehen worden waren, und von der einen, die er nicht bekommen hatte. »Seit Jahren mache ich mir Sorgen, dass Rapscullio eines Tages zurückkehren könnte«, gestand sie. »Dass er mir den letzten Beweis der Liebe deines Vaters wegnehmen

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