Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben (German Edition)
zunächst die Aufnahme als KJS-Schüler schaffen mussten. Ich weiß wirklich nicht mehr, ob ich mich damals als Neun- oder Zehnjähriger bewusst mit den »vier Kollektiven« beschäftigt und »Training als gesellschaftlichen Auftrag« gesehen habe. Jedenfalls hatte ich diesen ideologischen Überbau längst vergessen. Aber um den Geist von damals besser zu verstehen, zitiere ich gerne noch mal eine längere Passage aus dem Trainingstagebuch, das uns von klein auf begleitet hat:
»Im Familienkollektiv findet jedes Kind Geborgenheit und Verständnis. Durch die Liebe und Fürsorge deiner Eltern kannst du dich zu einem gesunden, klugen und charakterfesten Staatsbürger entwickeln. Unsere Regierung hilft dabei mit Geld – aber auch mit Ärzten, Lehrern, Trainern und Übungsleitern im Sport.
Die Klasse ist dein Lernkollektiv. Sie wird von Klassenlehrern und Fachlehrern nach einheitlichen Lehrplänen geführt. In unserer Republik ist der Schulbesuch für alle Schüler unentgeltlich, aber Pflicht! Nutze durch fleißiges Lernen in der Schule dein Recht auf hohe Allgemeinbildung und auf mögliche Förderung in der KJS als Spezialschule.
Deine Pioniergruppe in der Klasse ist ein politisches Kollektiv, das nach dem Statut und den Gesetzen der Thälmann-Pioniere handelt. Hier erwirbst du politisches Wissen und Können, übst Solidarität und bereitest dich vor, Mitglied der FDJ zu werden. Spezielle politische Erfahrungen sammelst du aber auch im Pionierkollektiv.
Die Trainingsgruppe im TZ ist das Interessenkollektiv der jungen Leistungssportler und gleichzeitig Pionierkollektiv. Alle trainieren freiwillig und regelmäßig, arbeiten bewußt und halten Sportkameradschaft. Trainer oder Übungsleiter führen das Kollektiv nach dem Trainingsprogramm ihres Sportverbandes.«
Neben der verordneten Kollektivität, die auf Kontrolle innerhalb der Gruppe zielt und die Verantwortlichkeit der Eltern auf »Heranziehung von Staatsbürgern« zurückdrängt, nannte das Trainingstagebuch den Kindern auch schon ihre Pflicht: nämlich »dein Ziel, hohe sportliche Leistungen zu Ehren unserer Republik« zu erbringen.
In jeder der 25 KJS war zwischen 1970 und 1989 jeder Dritte ein Stasi-Mitarbeiter – dies fand der Sporthistoriker René Wiese heraus.
»Sportliche Leistungen zu Ehren der Republik«
Eine »Leistungsrakete« sollte den Weg in den Olymp bahnen. »Vier Triebwerke« sollten dabei helfen, sie wurden als »Grundwahrheiten« verkauft:
»1. Grundwahrheit: Erfolgreiche DDR-Sportler haben vielseitige körperliche Fähigkeiten – und nur wer schon im TZ alle Kraft-, Schnelligkeits- und Ausdauerübungen mit Fleiß, Genauigkeit und Härte gegen die eigenen Schwächen trainiert, bildet alle die athletischen Grundlagen aus, die ihn zu hohen Leistungen in einer Sportart befähigen.
2. Grundwahrheit: Erfolgreiche DDR-Sportler haben gute Allgemeinbildung und hohe geistige Fähigkeiten – und nur wer in der Schule und überall in unserem Leben aufmerksam lernt, wird auch im Sport mit Köpfchen um hohe Leistungen kämpfen und später unser Land in der Welt als allseitig gebildete Persönlichkeit würdig vertreten können.
3. Grundwahrheit: Erfolgreiche DDR-Sportler beherrschen Technik und Taktik ihrer Sportart mit größter Sicherheit – und nur wer schon im TZ die Wettkampfübungen und die Formen der Wettkampfdurchführung mit Fleiß und Genauigkeit erlernt und übt, schafft sich das technische und taktische Rüstzeug für hohe sportliche Leistungen und Siege.
4. Grundwahrheit: Erfolgreiche DDR-Sportler haben feste sozialistische Verhaltenseigenschaften – und nur wer in jeder Lebenssituation, auch im TZ, nach den Gesetzen der Thälmann-Pioniere handelt, wird sich alle Eigenschaften anerziehen, die ein sozialistischer Leistungssportler haben muss, um für seine Heimat, die DDR, zu siegen.«
Jeder von uns TZ-Kindern musste eine Selbsteinschätzung nach den vier Grundwahrheiten abgeben und diese von Klassenlehrern, Pionierleitern, Trainern und den Eltern unterzeichnen lassen. Leider konnte ich das Dokument nicht mehr finden. Sehr gerne wüsste ich heute jedenfalls, was ich damals so geschrieben habe.
Der erste Trainer über Sven
»Sven war immer ein großartiger Normerfüller«
Als Sven mit sechs Jahren zu mir in die Trainingsgruppe kam, war er ein schlankes, unauffälliges Bürschchen, auch nicht größer als seine Alterskollegen. Ich habe sechs Jahre mit ihm gearbeitet, ihm die ersten Begriffe vom Skispringen und Skilaufen
Weitere Kostenlose Bücher