Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben (German Edition)
Ausflug, zurück zu meinen Wurzeln hatte mich Uli Pramann, der Coautor dieses Buches, ermuntert. Und nun waren wir also wieder auf dem Weg dorthin, wo alles angefangen hat: Welche Gefühle werden in mir wach? Was hat sich hier verändert? Was ist geblieben? Und wie empfängt mich wohl mein erster Trainer Erich Hilbig, dem ich viel zu verdanken habe und bei dem ich mich so lange, viel zu lange, nicht mehr gemeldet habe?
Schon mit sechs Monaten kam ich (der mit dem großen Plüschtier, links) in den Kinderhort – wie fast alle Babys in der DDR.
Meine Heimat Johannsibirsk
Es war ein sonniger Frühlingstag. Und es war wie immer windig in Johanngeorgenstadt, das auf einem Hochplateau in 890 Meter Höhe liegt. Dieser Wind war mir noch sehr vertraut. Das Erzgebirge ist ja bekannt für sein eher raues Mittelgebirgsklima, das allerdings in den heißen Sommermonaten sehr erfrischend sein kann. Früher kamen viele Sommerfrischler in unseren Ort. Für ihre Werktätigen hatten VEB-Kombinate aus Halle, Leipzig oder Dresden bei uns Feriendomizile eingerichtet. Doch die Winter konnten verdammt garstig sein, sie begannen oft schon Anfang Oktober und dauerten manchmal bis Ende April. Mitunter türmten sich mächtige Schneemassen auf Häusern, Bäumen, an den Wegen und Straßen. Minusgrade von 20 Grad und mehr waren normal. Deswegen wird die Region gerne »sächsisches Sibirien« und Johanngeorgenstadt gelegentlich »Johannsibirsk« genannt.
Gut möglich, dass Menschen auch von den lokalen Witterungsbedingungen geprägt werden. Jedenfalls sind Erzgebirgler meist nicht zimperlich, viele sind sogar ausgesprochen hart im Nehmen. Und ich war wohl auch so einer.
Ehrgeiz von Anfang an
Ich war gerade drei Jahre alt geworden, als mir meine Eltern zu Weihnachten ein Paar Skier schenkten, so kurze Dinger aus Vollplaste mit einer simplen Seilzugbindung. Wir wohnten damals zur Miete in einem Haus, das an einem kleinen Hang stand, der sich zum Üben bestens eignete.
Mama schaute mir bei den ersten Versuchen aus dem Küchenfenster zu. Amüsiert beobachtete sie, wie ich Dreikäsehoch mit meinen Skiern immer wieder umfiel und in den Schnee plumpste. Und wie ich mich wieder hochrappelte. Und wieder hinfiel und – ohne zu murren oder zu verzagen – tapfer wieder aufstand, viele, viele Male. Bis es endlich gelang, die paar Meter Gartenabfahrt ganz ohne Sturz zu überstehen. Und dann nahm ich wohl sofort größere Herausforderungen in Angriff.
Wenn meine Mama dies heute erzählt, fügt sie gerne noch hinzu, dass diese kleine Episode sehr typisch für mich gewesen ist. Nein, ich hätte als Kind so gut wie nie gejammert und niemals aufgegeben. Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt hatte, es wirklich wollte, dann hätte ich so lange geübt, getüftelt, getan – bis es schließlich geklappt hat.
Große Sprünge: Schon als Dreikäsehoch habe ich gerne abgehoben – allerdings in einem anderen Element.
»Der Sven wird mal ein großer Schlanker«
Als meine Mama mich am 9. November 1974 zur Welt brachte, war sie noch nicht mit meinem Papa verheiratet. Deshalb hieß ich die ersten 16 Jahre meines Lebens »Sven Pöhler«, nach dem Familiennamen meiner Mutter. Erst sehr viel später, nämlich im Jahr nach der Wende, als Papa und Mama bereits nach Westdeutschland gezogen und fleißig dabei waren, sich ein neues Leben aufzubauen, heirateten sie. Auch ich nahm natürlich den neuen Familiennamen an: »Hannawald«.
Das große Bergarbeiterkrankenhaus Erlabrunn, in dem ich geboren wurde, lag nur 3 Kilometer von daheim entfernt. Es wurde bekannt, weil dort auch noch zwei andere Weltklasse-Skispringer, nämlich Jens Weißflog (1964) und Richard Freitag (1991), auf die Welt kamen. Dieser schöne Zufall wird immer wieder gerne zitiert. Ich schätze aber, dass der erste Schrei in der Klinik Erlabrunn allein noch nicht ganz reicht, um als Skispringer mal ein Großer zu werden.
Meine Mama Regina war von Beruf Schneiderin. Sie arbeitete in der kleinen Damenschneiderei Johanngeorgenstadt, ganz in der Nähe unserer Wohnung. Oft brachte sie sogar Arbeit mit nach Hause, weil es so viel zu tun gab. Mein Papa Andreas, gelernter Maler, arbeitete in einer Produktionsgenossenschaft, die Häuserfassaden instand setzte. Später wechselte er in eine Autolackiererei, in der alte Wartburgs und Trabis zerlegt, lackiert und aufgehübscht wurden. Handwerker haben damals verhältnismäßig gut gelebt. Im Betrieb meines Papas war das Auftragsbuch oft schon in der dritten
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