Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben (German Edition)
Januarwoche voll – fürs ganze Jahr. Wer also einen Termin beschleunigen wollte oder ganz dringend einen neuen Kotflügel brauchte, bediente großzügig die Trinkgeldkasse oder bot praktische Gegenleistung an. Deswegen waren zum Beispiel Fliesenleger oder Installateure immer gern gesehene Kunden.
Große Schultüte: bei der Einschulung als Sechsjähriger. Schon damals stand für mich aber eher der Sport im Vordergrund.
In seiner Freizeit war mein Papa ein begeisterter Sportler. Im Sommer saß er gerne auf dem Rad. Ein paar Winter lang war er auch Skispringer, wie viele junge Männer in Johanngeorgenstadt. Sogar ein ganz passabler, wie er immer sagte. Deswegen freute es meinen Papa natürlich auch, als ihm Günter Kühnel, ein Bekannter vom örtlichen Skiclub SG Dynamo, eines Tages sagte: »Der Sven wird mal ein großer Schlanker. Den müsste man doch unbedingt zum Skispringen bringen.«
Und so geschah es dann auch. Erste Erfahrungen hatte ich längst gemacht. Mit ein paar Kindern aus unserer Straße hatten wir am Hang hinterm Haus und auch anderswo immer wieder Schnee zusammengeschaufelt und zu kleinen – na ja – Sprungschanzen geformt. Darauf waren wirklich respektable Hupfer möglich, vielleicht ein, zwei Meter. Aber die fühlen sich mit vier, fünf Jahren ganz schön weit an.
Mir machten solche Mutproben so richtig Spaß. Ich wollte immer weiter springen, ich wollte mal ein richtiger Skispringer werden. Und meine Eltern hatten auch nichts dagegen. Im Gegenteil. Papa und Mama sagten: »Dann ist der Junge wenigstens verräumt. Und beim Sport ist er ja auch viel an der frischen Luft und tut, was er gerne tut – das ist gut.«
Regina Hannawald über den Charakter ihres Sohns Sven
»Nein, ich hatte nie Angst um den Sven«
» Sven ist lange ein Kind geblieben. Als kleiner Junge war er sehr verspielt. In der Schule hat er gemacht, was gemacht werden musste – aber auch nicht mehr. Trotzdem hat es immer gut gereicht, und er hat gute Noten mit nach Hause gebracht. Nein, frech ist er nicht wirklich gewesen, aber manchmal hat es ihm Spaß gemacht, ein bisschen zu provozieren. Seine Lehrerin erzählte mal, dass er sich schon mal ganz gerne als Klassenclown produzierte. Wenn ihm zum Beispiel sein Bleistift aus der Hand gefallen war und neben die Schulbank rollte. Dann stand er ganz langsam auf, hob den Bleistift vom Boden und drehte sich ganz langsam zweimal im Kreis, ehe er sich wieder setzte. Die ganze Klasse hat gekuckt und gelacht. Das hat dem Sven gefallen.
Ich wollte nie so eine Übermutter sein, die immer aufpasst, dass der Kleine bloß keinen Sand in den Mund steckt oder vielleicht ein bisschen zu hoch klettert. Er sollte ruhig auch mal hinfallen. Wenn einer keine Erfahrungen machen darf, wie soll er sich dann gesund entwickeln?
Ob ich Angst hatte um Sven? Das wurde ich immer wieder gefragt. Nein, ich hatte nie Angst um ihn. Oh ja, er war schon als Kind ein kleiner Draufgänger, aber er hat es nie übertrieben, er hat nie ein verrücktes Risiko gesucht. Er kannte irgendwie immer seine Grenzen, und ich hatte volles Vertrauen zu ihm. Selbst als er dann beim Skifliegen seine ersten richtig weiten Sprünge gemacht hat und dann sogar über 200 Meter weit flog, hatte das für mich nichts Erschreckendes. Im Gegenteil. Ich hab mich für ihn wahnsinnig gefreut, weil ich mich in diesem Moment in ihn hineinversetzt habe. Und ich wusste, wenn er weit springt – dann ist er richtig glücklich. «
Regina Hannawald mit einem Foto des vierjährigen Sven (unten) und mit ihrem großen Sohn daheim im Garten
DDR-Sport: der Kampf um die Weltspitze
So wurde ich also mit sechs Jahren ein Teil des erfolgreichen DDR-Sportsystems. Das heißt, genau genommen war ich das ja schon sehr viel früher.
Weil die DDR ein eher kleines Land mit nur 17 Millionen Einwohnern war (36. Platz auf der Bevölkerungstabelle der Welt) und weil jährlich nur zwischen 250.000 und 300.000 Kinder geboren wurden, kam es auf eine effektive Sichtung und Auswahl sportlich talentierter Kinder an. Denn die DDR strebte ein ganz wichtiges Ziel an: Sie wollte eine sportliche Großmacht werden und bleiben. Als treibende Kraft tat sich besonders der sportbegeisterte Genosse Walter Ulbricht hervor. »Jedermann an jedem Ort – einmal in der Woche Sport« – mit dieser Parole sollte ab 1959 die Leibesertüchtigung im Alltag und im Betrieb forciert werden. Später wurde Ulbrichts Parole offiziell deutlich erweitert: »Jedermann an jedem Ort –
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