Mein ist der Tod
Schublade. Seine Anläufe, in die Redaktion eines überregionalen Blattes zu wechseln, waren sämtlich gescheitert. Swobodas Albtraumbilder wiederum wollte außer der Galerie seiner Freundin Martina Matt niemand ausstellen. Wenn sie genug getrunken hatten, um redselig zu werden, ließen sie kein gutes Haar an den gehandelten Namen in den großstädtischen Feuilletons. Dann konnte es vorkommen, dass der Kulturredakteur ein jüngst verfasstes Gedicht aus der Tasche zog, das der Maler sich geduldig anhörte. Herkings Poesie war konventionell und so düster wie die Bilder des ehemaligen Hauptkommissars.
Als Swoboda die dünnen Kalbsleberscheiben gegessen und mehr als die Hälfte des Weins getrunken hatte, war er zur Kooperation bereit.
Also, was ist mit dem Computerspiel, und wer will dir was mitteilen?
Du müsstest es dir ansehen und anhören, ich kann es nicht beschreiben, wenn du solche Spiele nicht kennst, es macht Anleihen bei Dragon Age 2 oder The Witcher. Allerdings scheint der Macher aus irgendeinem Grund Italienisch vorauszusetzen. Kannst du Italienisch?
Und wie, sagte Swoboda, winkte dem Wirt und bestellte.
Due espressi e due grappe, per favore.
Wilfried Herking grinste und verlangte die Rechnung.
Die Räume in der Redaktion der ZN am Alten Winkel waren menschenleer bis auf eine junge Frau. Swoboda registrierte: fast so groß wie er selbst und auffallend mager, Jeansanzug, das blonde Haar in kleiner Dauerwelle, breiter Mund. Herking stellte sie vor. Saskia Runge, frisch promovierte Medienkundlerin aus Dresden, die als Praktikantin eigentlich noch bis zweiundzwanzig Uhr Redaktionsdienst hatte. Sie dankte, als Herking sie nach Hause schickte, mit unüberhörbar sächsischem Klang.
Aus den Bürofenstern im zweiten Stock konnte man auf den Schillerplatz und ein Stück der Hauptstraße blicken, die ihn kreuzte. Swoboda sah die Praktikantin in ihrem türkisfarbenen Sommermantel aus dem Zeitungsgebäude kommen. Sie zündete sich eine Zigarette an und telefonierte. Ein Jogger in schwarzem Anorak, die Kapuze überm Kopf und mit einem Köcher auf dem Rücken, rannte, vom Alten Winkel her kommend, an ihr vorbei über den Schillerplatz und die Hauptstraße hinunter zum Kornmarkt. Swoboda glaubte, in ihm denselben Jogger wiederzuerkennen, der ihn und Herking vor mehr als einer Stunde am rechten Mührufer auf dem Weg zum Da Ponte überholt hatte, und wunderte sich über dessen Ausdauer. Andererseits sahen sie alle irgendwie gleich aus und waren ihm mit ihrer auftrumpfenden Beweglichkeit sämtlich unsympathisch.
Die Straßenlaternen glommen auf und wurden hell. In ihrem Licht war der Platz draußen plötzlich voller Schatten.
Der Redakteur rief ihn an den Schreibtisch.
Auf dem Bildschirm seines Computers leuchtete vor einem blutroten Himmelspanorama der goldene Schriftzug Mein ist der Tod . Dazu ein paar aus Wagners Götterdämmerung gepanschte Töne, eingemischt in eine gleichfalls geklaute Filmmusik.
Der goldene Schriftzug wechselte in die blinkende Zeile:
Vide cor tuum .
Swoboda schüttelte den Kopf.
Sind die alle so kitschig?
Das ist noch schlicht, sagte Herking. Dieses Vide cor tuum kann man mit einem Passwort überschreiben, wenn man’s hat.
Während der Hintergrund seine Farben verlor und zu einer braungrünen Tiefe wurde, erschien, aus der Bildmitte wachsend, der Oberkörper einer Gestalt in einem schwarzen Kapuzenanorak, das Gesicht verdunkelt. Jetzt wechselte das Panorama erneut: Die ockerfarbene Silhouette einer Stadtmauer mit eckigen Wehrtürmen erschien, dahinter hohe Flammen, ein Bild, das Swoboda an etwas erinnerte, was ihm nicht einfiel.
Der Verhüllte verwandelte sich in einen gesichtslosen Mönch in schwarzer Kutte, griff hinter sich, holte einen pythonartigen Schwanz hinter dem Rücken hervor und wickelte ihn sich um seinen Leib. Zugleich wuchsen aus seiner Umgebung Schlangen, als würden sie aus der Luft gezaubert, die gelb-rot gezackten, schwarz-braun gestreiften und grünmetallisch schillernden Schuppenkörper wanden sich um seine Arme und zwischen seinen Beinen durch. Swoboda fühlte sich an die Schlangenleiber auf Gemälden von Böcklin erinnert.
Dann eine unnatürlich tiefe, durch künstliche Bässe verzerrte Stimme:
Ich führe euch in die Hölle. Ich lehre euch sehen. Nenne das Wort und folge mir. Vide cor tuum.
Eine Flammenschrift erschien:
la quale ella mangiava dubitosamente
Dann aß sie, wohl bedacht, das Herz,
das in der Hand ihr brennend dargeboten ward.
Das
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