Mein ist der Tod
meins. Soll ich einen Wein aufmachen?
Nein, sagte er, ich brauche deine Hilfe.
Gleich darauf stand er vor der gläsernen Tür zur Galerie, wollte sie öffnen, sah Martina in einem frühlingshaften Blütenkleid am Tisch mit den Grafikschubladen stehen, als ihn ein Geräusch störte, das er noch nie in seinem Leben gehört hatte.
Ein dunkler, weicher Schlag, der sofort auch ein Knacken und Schmatzen war – dies alles in einem einzigen Augenblick, dem ein zischendes Gurgeln folgte. Es hörte sich nicht hell wie Wasser an, sondern verströmte sich sanft und glatt in leiser werdenden Stößen und war schon verstummt, bevor er orten konnte, woher das Geräusch kam. Er sah zur Landspitze hinunter. Etwas fiel mit einem dumpfen Laut nieder. Ein zweiter Schlag, heller.
All das geschah leise und nicht in der Nähe. Alarmiert ließ er die Plastiktüte vor der Galerietür fallen und lief, als wüsste er, wohin, die kurze Wilhelmstraße zum Kornmarkt hinunter. Der Platz war menschenleer, der Bronzeleib der Zunger Zick stand im Nachtlicht schimmernd und still auf seinem Sockel im trockenen Brunnen. Eine faserige Wolke zog vor den Mond.
Weiter unten, neben dem Mäuseturm, blitzte etwas auf.
Dort entfernten sich Schritte.
In der Nähe des Ufers sah er sie auf dem Kornmarktpflaster liegen. Er erkannte ihren Mantel, rannte den Schritten hinterher, folgte der Spur aus schwarz glänzenden Pfützen, bald kleinen Lachen, dann Tropfen, hörte, wie Holz an die Steinmole schlug, Plätschern, Ruderschläge. Die Wolke gab den Mond frei, und Swoboda sah das Boot sich vom Ufer entfernen, darin die aufrechte Gestalt mit Kapuze über dem Kopf, an der Hüfte pendelte in der Horizontalen ein dünnes, schwach gebogenes, silberhelles Schwert. Stehend wriggte der Mann den Kahn mit dem langen Heckruder auf die Nelda hinaus und ließ sich mit der Strömung forttreiben.
Swoboda lief zu der Toten zurück und beugte sich zu ihr hinunter. Sie lag auf dem Bauch, die Schultern und den kurzen Nacken in einem See von Blut. Der türkisfarbene Mantel hatte sich bis zu den Ärmeln vollgesogen. Am linken Handgelenk spuckte der Stumpf noch Blut.
Er kannte in der Geschichte der Kunst viele Bilder mit abgeschlagenen Gliedmaßen und Köpfen, Halsstümpfen und aufgeschnittenen Kehlen; Kriegsbilder, mythologische und biblische Ereignisse; keines hatte ihn jemals so sehr ergriffen wie der Anblick dieser jungen Frau. Er wusste nicht, ob Mitleid oder Zorn ihm Tränen in die Augen trieb, jedenfalls hatte er in seiner Zeit als Kommissar nie beim Anblick eines Opfers geweint. Manchmal hatte er einem Toten wie zum Abschied die Hand aufs Haar gelegt. Jetzt kämpfte er gegen ein überwältigendes Gefühl der Trauer an, das in ihm aufstieg.
Alexander? Was ist? Kommst du?
Martina rief nach ihm, während sie sich näherte.
Sie war schon am Zickbrunnen.
Bleib weg!
Er schrie sie an wie in größter Not: Weg! Sieh nicht her! Geh weg! Geh!
Später, als auf dem Kornmarkt die Scheinwerfer den Platz ausleuchteten und das Tatortteam seine Arbeit machte, saß Rüdiger Törring bleich am Besuchertisch der Galerie. Seine braune Haartolle war ihm in die Stirn gefallen, und er fühlte sich ausgelaugt und war erschöpft. In seinem Beruf hatte er bisher einige entsetzliche Erfahrungen gesammelt, doch keine war so verstörend gewesen. So weit er wusste, hatte es in der Geschichte des Verbrechens noch nie einen Täter gegeben, der seinen Opfern den Kopf und die linke Hand abschlug. So etwas kam in Kriegen vor und bei Terroristen.
Swoboda hockte ihm in sich gekehrt gegenüber. Martina hatte eine Flasche Wodka aus dem Gefrierschrank gebracht. Sie setzte sich an den Tisch, rauchte. Sehnsüchtig starrte Swoboda auf ihre Zigarette.
Ihr müsst das LKA anfordern, sagte er leise.
Törring nickte.
Seit gestern ist sogar das BKA hier. Wegen dem Toten in den Fischerhäusern. Keine Ahnung, warum die sich für ihn interessieren. Die Chefermittlerin hat ihn sich sofort unter den Nagel gerissen. Michaela Bossi ist aus Wiesbaden gekommen.
Als sie den Namen hörte, drückte Martina ihre Zigarette im Aschenbecher aus.
Swoboda schien den Hinweis auf die einstige Kollegin, die vor vier Jahren vom Landeskriminalamt zum Bundeskriminalamt gewechselt war, zu ignorieren und leerte sein Glas.
Er hat ein Schwert. Der Kerl hat ein japanisches Schwert.
Hast du es gesehen? fragte Törring.
Nein. Ja. In dem Computerspiel –
Er sprang auf.
Wo ist die Plastiktüte? Ich habe eine Tüte vor der Tür fallen
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