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Mein ist der Tod

Mein ist der Tod

Titel: Mein ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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lassen, wo ist die?
    Drüben, neben der Kaffeemaschine, sagte Martina. Ich hab sie liegen sehen und reingeholt. Falsch?
    Goldrichtig. Danke. Ich habe reagiert wie ein Anfänger.
    Törring verstand nichts und ließ sich die letzten Stunden von Swoboda erzählen, der, während er sprach, unentwegt kleine Bilder in sein Skizzenbuch kritzelte. Manisch versuchte er festzuhalten, was er in Herkings Computer und auf dem Kornmarkt gesehen hatte. Die auf dem Pflaster liegende Praktikantin gelang ihm nicht, seine Hand schien sich zu weigern, einen enthaupteten Menschen zu zeichnen.
    Sein ehemaliger Assistent sah ihm zu und ahnte, dass Swoboda zeichnete, um nicht kriminalistisch denken zu müssen. Er verschwieg ihm, dass man neben dem Skelett im Fischerhaus fünf den Kopf einer unbekannten Frau gefunden hatte, in einem kleinen hölzernen Boot.
    Die Herkunft des geschnitzten Nachens war inzwischen geklärt: Einer der Studenten von der Bildhauerschule, die das Fischerhaus Nummer 4 besetzt hielten, vermisste ihn seit ungefähr drei Wochen und hatte seine Kommilitonen im Verdacht, es aus Jux auf die Nelda gesetzt zu haben.
    Der Mörder der Unbekannten musste es aus dem Haus gestohlen haben, dessen Türschloss man mit dem einfachsten Dietrich öffnen konnte. Die Studenten selbst schienen unverdächtig, auch wenn ihre Alibis in beliebiger Weise zu deuten waren. Sicher war, dass sie untertags in der Bildhauerschule waren und von dem Toten An der Floßlände 5 keine Ahnung gehabt hatten.
    Irgendwann würde Swoboda erfahren müssen, dass es noch eine dritte Tote gab, deren Leichnam noch nicht gefunden war.
    Was sie hatten, war das Herz von Iris Paintner, den enthaupteten Leib von Saskia Runge und den Kopf einer Unbekannten. Und ein Videospiel, in dem sich der Mörder verrätselte.
    Auch wenn der Hauptkommissar sich verbot, voreilig Schlüsse zu ziehen – für ihn war klar, dass er es mit einem Psychopathen zu tun hatte. Und nichts sprach dafür, dass er aufhören würde zu töten. Im Gegenteil, Serientäter waren nach jedem Mord immer nur für kurze Zeit von ihrem Zwang erlöst.
    Als Rüdiger Törring längst gegangen war und der Tatort innerhalb der gelb-schwarzen Absperrbänder wieder dunkel und leer dalag, begann es zu regnen. Swoboda trank seinen dritten Wodka, blickte auf die Regenschnüre, die vor der Glastür im Licht der Straßenlaternen glitzerten, und dachte an das Blut, das jetzt vom Kornplatz gewaschen und über die Steintreppen in die Nelda geschwemmt würde. Er konnte nicht aufhören, den Verlauf des Abends in Gedanken zu wiederholen. Warum hatte er die Praktikantin nicht aufgefordert, in Herkings Büro zu bleiben? Sie hätte nicht gestört.
    Was verband diese Saskia Runge, fünfundzwanzig Jahre, aus Dresden, mit Iris Paintner? Mit wem hatte sie telefoniert? War es eine Verabredung mit dem Mörder? Gab es einen Ring an ihrer linken Hand, der den Täter identifiziert hätte? Eine Tätowierung? Die wäre ihm in der Redaktion aufgefallen. Hatte sie überhaupt einen Ring getragen? Swoboda wusste es nicht mehr.
    Waren Iris und sie nur zufällig Opfer geworden? Gab es in Zungen an der Nelda einen Wahnsinnigen, der wahllos junge Frauen abschlachtete? Oder war einer der beiden Morde gezielt, der andere nur Ablenkung?
    Was er unbedingt vermeiden wollte, war eingetreten: Sein Polizistengehirn hatte zu arbeiten begonnen wie früher, und seine Fragen hielten ihn vom Nachdenken über das Kirchenfenster ab.
    Er rief sich einen Text aus seinen Vorbereitungen auf das Thema des Fensters in Erinnerung; eine Stelle aus den Paulus-Briefen:
    Die Toten in Christus werden zuerst auferstehen; danach werden wir, die Lebenden, die übrig bleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden in Wolken dem Herrn entgegen in die Luft; und so werden wir allezeit beim Herrn sein.
    Dem Generalvikar gegenüber, der ihn eindringlich auf die Unterschiede zwischen der Heimkehr Christi zu seinem Vater, der Himmelfahrt Mariae und dem Jüngsten Gericht hinwies, hatte er von Anfang an keinen Zweifel daran gelassen, dass er kein Bild der leiblichen Auferstehung, nichts Figürliches machen werde. Vielmehr wolle er in dem Fenster das Licht der Himmelfahrt sichtbar machen:
    Ich suche nach der leichtesten Farbe!
    Nicht weil er gläubig sei, sondern weil er sich von dem vorgegebenen Thema herausgefordert sehe, die Aufhebung des Todes bildlich neu zu erfinden. Immerhin sei das, soweit er es verstehe, die einzige wirklich befreiende Botschaft des Christentums. Das Fenster werde

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