Mein ist die Stunde der Nacht
Häuser derjenigen aufgesucht hatte, die, wie er selbst, auf dem Treffen geehrt werden sollten.
Vor Jeannie Sheridans Haus erinnerte er sich, dass die Polizei ein paarmal von den Nachbarn geholt worden war, weil es zwischen ihren Eltern in der Auffahrt zu handgreiflichen Auseinandersetzungen gekommen war. Er hatte gehört, dass sie mittlerweile seit Jahren geschieden waren. War vermutlich besser so. Damals hatten die Leute gesagt, bei diesen fürchterlichen Gefechten werde irgendwann einer von beiden ernsthaft verletzt.
Das erste Haus, in dem Laura Wilcox gewohnt hatte, befand sich gleich neben dem von Jeannie. Dann hatte ihr Vater geerbt, und die Familie war in das große Haus an der Concord Avenue umgezogen, als sie im zweiten Jahr am College studierten. Er erinnerte sich, dass er als Schüler öfter an Lauras erstem Haus vorbeigelaufen war in der Hoffnung, sie würde herauskommen, sodass er sie in eine Unterhaltung verwickeln könnte.
Eine Familie Sommers hat das Haus von Lauras Eltern gekauft, erinnerte er sich. Ihre Tochter ist dort am Wochenende des Columbus Day ermordet worden. Später haben sie es wieder verkauft. Die meisten Leute würden wohl nicht auf Dauer in dem Haus weiterleben wollen, in dem ihre Tochter erstochen wurde.
Die Einladung für das Klassentreffen lag auf dem Bett. Er warf einen Blick darauf. Die Namen der Ehrengäste und ihre Lebensläufe waren dem Schreiben beigefügt. Carter Stewart. Wie lange hat er wohl nach der Schule gebraucht, bis er seinen Rufnamen Howie loswurde?, fragte sich Robby. Howies Mutter hatte sich als Künstlerin bezeichnet und war ständig mit einem Skizzenblock in der Stadt unterwegs gewesen. Von Zeit zu Zeit konnte sie die örtliche Kunstgalerie dazu überreden, einige von ihren Sachen zu zeigen. Ziemlich grauenhaft, erinnerte sich Robby. Howies Vater war ein Tyrann gewesen, der ihn ewig drangsaliert und geschlagen hatte.
Kein Wunder, dass seine Stücke so düster sind. Regelmäßig hatte Howie die Flucht ergreifen und sich vor seinem Alten im Garten der Nachbarn verstecken müssen.
Mittlerweile hat er Erfolg, aber im Innern ist er bestimmt immer noch derselbe Spanner wie damals, als er heimlich bei den Leuten durchs Fenster spähte. Dachte, niemand würde etwas merken, aber ich habe ihn ein paarmal dabei erwischt. Er war damals dermaßen in Laura verknallt, dass es ihm praktisch aus allen Poren hervorkam.
Genau wie ich, dachte Robby, während er auf das Foto von Gordie Amory starrte, diesem wandelnden Aushängeschild der plastischen Chirurgie. Mr Cover Boy persönlich. Gestern hatte er auf seinem Spaziergang Gordies Haus aufgesucht und festgestellt, dass es komplett renoviert worden war. Damals war es in einem merkwürdigen Blauton gestrichen gewesen. Jetzt war das Haus fast doppelt so groß und strahlte in blendendem Weiß – genau wie Gordies neue Zähne, dachte Robby.
Gordies früheres Haus war abgebrannt, als sie im vorletzten Schuljahr waren. In der Stadt ging damals der Witz um, dies sei die einzige verbliebene Möglichkeit gewesen, das Haus gründlich zu reinigen. Bei Gordies Mutter hatte es immer wie im Saustall ausgesehen. Viele Leute glaubten damals, Gordie habe das Feuer vorsätzlich gelegt. Ich hätte es ihm durchaus zugetraut, dachte Robby. Er war schon immer ein bisschen komisch. Robby schärfte sich noch einmal ein, Gordie mit »Gordon« anzureden, wenn sie bei der Cocktailparty aufeinandertreffen würden. Im Lauf der Jahre war er ihm ein paarmal zufällig begegnet – immer noch verklemmt bis in die Bügelfalten, außerdem noch einer, der damals hoffnungslos in Laura verschossen war.
Genau wie Mark Fleischman, der ebenfalls geehrt werden sollte. In der Schule hatte man nicht viel aus seinem Munde vernommen, aber man hatte immer das Gefühl, ihm ginge eine ganze Menge im Kopf herum. Er stand immer im Schatten
seines älteren Bruders Dennis, der eine große Nummer in Stonecroft gewesen war und sich auf allen Gebieten hervorgetan hatte, ein Musterschüler und Topathlet. In der Stadt kannte ihn jeder. Er war bei einem Autounfall ums Leben gekommen, im Sommer bevor sie in die erste Klasse gekommen waren. Ein Unterschied wie Tag und Nacht, die beiden Brüder. In der Stadt wusste jeder, dass Marks Eltern, vom Schicksal vor die Wahl gestellt, einen ihrer Söhne zu opfern, lieber Mark als Dennis verloren hätten. Der Junge hatte so viel Groll in sich aufgestaut – es war geradezu ein Wunder, dass es ihn nicht zerrissen hat, dachte Robby.
Jetzt war er
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