Mein ist die Stunde der Nacht
aus, sogar sehr teuer. Die Fernsehserie, bei der sie mitgespielt hatte, war vor ein paar Jahren abgesetzt worden. Er fragte sich, wie viel Arbeit sie wohl seitdem gehabt haben mochte. Er wusste, dass sie eine schlimme Scheidung hinter sich hatte, mit Forderungen und Gegenforderungen, wie er in der New York Post gelesen hatte. Er musste lächeln, als sie Gordie ein zweites Mal küsste. »Du warst doch damals in mich verliebt«, neckte sie ihn.
Dann war er an der Reihe. »Mark Fleischman«, sagte sie atemlos. »Ich weiß noch ganz genau, dass du eifersüchtig
warst, als ich mit Barry Diamond ging. Oder stimmt’s etwa nicht?«
Er lächelte. »Doch, das stimmt schon, Laura. Aber es ist lange her.«
»Ich weiß, aber ich hab’s nicht vergessen.« Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.
Er hatte einmal gelesen, dass die Herzogin von Windsor die Fähigkeit besitze, jedem Mann, mit dem sie spreche, das Gefühl zu geben, er sei der einzige Mann im ganzen Raum. Er sah zu, wie Laura sich dem nächsten bekannten Gesicht zuwandte.
»Ich habe es auch nicht vergessen, Laura«, sagte er leise. »Keinen Augenblick lang habe ich das vergessen.«
10
ER BEOBACHTETE AMÜSIERT, dass Laura auf der Cocktailparty wie gewohnt im Zentrum der Aufmerksamkeit stand, obwohl sie die Auszeichnung von allen Ehrengästen am wenigsten verdiente. In der Fernsehserie – bislang das Einzige, was sie vorweisen konnte – hatte sie eine seichte Blondine gespielt, die sich einzig und allein für ihr Äußeres interessierte. Eine Rolle, bei der buchstäblich sämtliche Klischees bedient wurden.
Ohne Zweifel sah sie immer noch verdammt gut aus, aber sie stand sozusagen in der letzten Blüte, bevor der Abstieg beginnt. Schon waren die ersten Fältchen um Augen und Mund zu sehen. Er entsann sich, dass ihre Mutter die gleiche papierene Haut gehabt hatte, jene Sorte, die schnell und gnadenlos altert. Falls Laura noch zehn Jahre leben würde, könnte selbst ein plastischer Chirurg keine Wunder mehr vollbringen.
Aber sie würde ohnehin keine zehn Jahre mehr leben.
Zu manchen Zeiten, manchmal sogar für einige Monate, zog sich die Eule an einen geheimen Ort tief in seinem Innern zurück. In diesen Zeiten war er manchmal nahe daran, zu glauben, dass alles, was die Eule begangen hatte, nur ein Traum gewesen war. An anderen Tagen jedoch, so, wie heute, spürte er, dass sie in seinem Innern lebendig war. Er konnte ihren Kopf sehen, ihre dunklen Pupillen, umgeben von
der grellgelben Iris. Er konnte spüren, wie sich ihre Klauen um einen Ast klammerten. Er konnte die Berührung ihres samtweichen Gefieders spüren, was ihn schaudern ließ. Er konnte das Brausen der Luft unter ihren Schwingen spüren, wenn sie sich auf ihre Beute hinabstürzt.
Lauras Anblick hatte die Eule sofort angelockt und veranlasst, ihren Ausguck zu verlassen. Warum hatte er nur so lange gewartet, um sich ihr zu nähern? Die Eule verlangte eine Antwort, aber er wollte lieber nicht danach suchen. War es, fragte er sich, weil die Macht über Leben und Tod, welche die Eule besaß, verschwinden würde, wenn er Laura und Jean vernichtet hatte? Laura hätte bereits vor zwanzig Jahren sterben sollen. Aber dieser Fehler war für ihn eine Befreiung gewesen.
Dieser Fehler, dieser Missgriff des Schicksals hatte ihn verwandelt, hatte ihn von einem stotternden Weichling – »Ich b-b-bin d-die Eu-Eule, und ich l-l-lebe in ei-ei-ei-nem …« – zur Eule gemacht, zu einem Raubvogel, mächtig und gnadenlos.
Jemand studierte sein Namensschild, ein Typ mit Brille und ausgedünntem Haar in einem nicht allzu teuren dunkelgrauen Anzug. Jetzt lächelte der Mann und hielt ihm die Hand entgegen. »Joel Nieman«, sagte er.
Joel Nieman. Ach, natürlich, der Romeo in der Aufführung der Abschlussklasse. Er war derjenige, über den Alison in ihrer Kolumne geschrieben hatte: »Zur allgemeinen Überraschung schaffte es Romeo, gespielt von Joel Nieman, den größten Teil seines Textes auswendig aufzusagen.«
»Hast du die Schauspielerei aufgegeben?«, fragte die Eule, ebenfalls lächelnd.
Nieman schaute verdutzt. »Du hast ein gutes Gedächtnis. Tja, ich hatte das Gefühl, das Theater kann auch ohne mich auskommen«, sagte er.
»Ich kann mich noch daran erinnern, was Alison damals über dich geschrieben hat.«
Nieman lachte. »Ich auch. Ich wollte ihr eigentlich sagen, dass sie mir damit einen Gefallen getan hat. Ich habe mich dann der Buchhaltung zugewendet und bin viel besser damit gefahren. Die
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