Mein Jakobsweg
mit einem Rucksack reisen konnte. Jedenfalls blieb mir sein leichtes Kopfschütteln nicht verborgen.
In Madrid war ich umgestiegen. Nun, beim Verlassen der Maschine in Vitoria, fiel mein Blick als Erstes auf einen riesigen Berg mit schneebedecktem Gipfel, der sich in weiter Ferne erhob. Einen Moment lang dachte ich: Hoffentlich muss ich da nicht drüber. Aber dieser Berg liegt in nördlicher Richtung, beruhigte ich mich. Ein Glück, denn ich gehe erst ab Burgos, südlich von Vitoria.
Die letzten hundert Kilometer fuhr ich mit einem Überlandbus. Gegen sechzehn Uhr bin ich endlich in Burgos. Mein Abenteuer, unaperegrina zu sein, kann beginnen.
Burgos
Nur der erste Schritt macht Schwierigkeiten.
Madame du Deffand
V om Busbahnhof Burgos bis zu einer schönen alten Steinbrücke über den Fluss Arlanzón gehe ich etwa zehn Minuten. Viele Schwalben, es müssen Hunderte sein, fliegen über das glasklare Wasser. Weiter durch das Tor Santa Maria, und schon stehe ich vor der Kathedrale. Unzählige Türme und Türmchen weisen in einen wolkenverhangenen Himmel. Gerade beginnt es leicht zu regnen. Das Innere der Kathedrale ist riesig, es wird renoviert, und der größte Teil ist leider abgesperrt.
Ehe ich endgültig zur Herberge gehe, muss ich unbedingt noch Brot kaufen. Außer beim Busbahnhof habe ich kein Geschäft gesehen. So gehe ich noch einmal zurück und kaufe frisches Weißbrot, dann folge ich dem Fluss bis zu dem Park, wo die Herberge liegt. Inzwischen ist es empfindlich kalt geworden und auch sehr windig.
Ich habe viel zu wenig gesehen, denke ich, ich müsste mir mehr Zeit lassen. Aber ich brauche schließlich ein Bett. Tatsächlich sind nur noch drei Betten frei. Meines ist ganz hinten in dem großen Raum: die obere Etage eines Stockbetts. Ohne Hilfe da hinaufzuklettern, wird für mich nicht einfach sein.
Das Leitungswasser ist so eisig, als käme es von der Schneeschmelze. Ich fülle schon mal meine Trinkflaschen, vielleicht hat es sich bis morgen früh wenigstens etwas erwärmt. Zu meiner Freude hat diese Herberge ein Münztelefon. So kann ich bequem mit Peter sprechen.
Mit einem Anruf von mir hat er heute noch gar nicht gerechnet. Er freut sich sehr. Es ist viel kälter als bei uns, sage ich. Und in dem Schlafsaal sind bestimmt 50 Betten, ich bin die Nummer 44. Es sind auch Decken da, ich werde nicht frieren, versichere ich ihm, auf seine Bedenken hin, dass es mir hoffentlich nicht zu kalt werden wird. Mit dem Versprechen, so schnell wie möglich wieder anzurufen, sagen wir uns gute Nacht.
Niemals zuvor habe ich mit so vielen Menschen in einem Raum geschlafen. Zunächst sind alle sehr beschäftigt. Manche waschen trotz des kalten Wassers Wäsche. Sie pflegen ihre Füße und reiben die Beine ein, massieren sich gegenseitig. Ich selbst, als die Neue im Kreis der Pilger, schaue ihrer Geschäftigkeit zu.
Andere müssen ihre Pilgerreise hier abbrechen. Sie diskutieren die Abfahrtszeiten von Zügen und Bussen, und welcher Flughafen am günstigsten zu erreichen ist. Eine junge Frau hat keine Idee, wie sie ihr Fahrrad von hier aus zurücktransportieren soll. Fahren kann sie damit nicht mehr, sie hat ein Furunkel.
Eine andere Frau will morgen früh mit dem Bus bis Bilbao fahren und hofft, dort noch am gleichen Tag einen Platz in einem Flugzeug nach Deutschland zu ergattern. Gleich zu Beginn war sie in den Pyrenäen auf matschiger Erde gefallen. Dabei hatte sie sich am Schienbein verletzt, und die Wunde will einfach nicht heilen. Sie ist mit einem älteren Ehepaar aus Sachsen und einem weiteren Pilger unterwegs und hatte vor mir telefoniert. Spontan lädt sie mich ein, mit ihnen zum Pilger-Menü zu gehen. Kannst ruhig mitkommen, wir kennen uns alle erst, seit wir auf dem Camino sind.
Froh, an diesem ersten Abend zwischen all den vielen Pilgern nicht wirklich allein sein zu müssen, gehe ich mit ihnen. Es regnet immer noch leicht. Ein kurzes Stück nur geht es an einigen Häusern entlang, und schon sind wir in dem etwas rustikal eingerichteten Lokal.
Ein Tisch wird frei, und wir können uns setzen. Das Essen ist bestellt, der Rotwein wird gebracht - da fällt mir mein Reisegeld ein. Ich habe es in meiner soeben in der Herberge abgelegten Kleidung zurückgelassen.
Jemand schenkt den Wein ein, und alle versichern, ich brauchte mir keine Sorgen zu machen, denn in den Herbergen und auf dem Camino stiehlt niemand. Wir müssen es schließlich wissen, heißt es, wir sind schon den elften Tag unterwegs.
Weitere Kostenlose Bücher