Mein Jakobsweg
Gern würde ich etwas Warmes essen, aber ich habe keine Ruhe mehr und eile zur Herberge.
Meine Sachen sind unberührt und liegen wie vorher auf dem Bett. Auch das Geld ist genau da, wo ich es vergessen hatte. Jetzt, wo ich es bei mir habe, könnte ich wieder zurück ins Gasthaus gehen. Aber inzwischen regnet es richtig, und meine Kleidung würde nur unnütz nass werden. Also nehme ich aus meinem Rucksack eine kleine Fischkonserve, esse von dem Weißbrot und trinke Wasser dazu. Mit der Gewissheit, dass Pilger liebenswürdige und grundehrliche Menschen sind, schlafe ich ein.
Von Burgos nach
Hornillos del Camino
Wo gehen wir denn hin?
Immer nach Hause.
Novalis
E s ist noch stockfinster, als ein sich ständig hin und her bewegender Lichtschein meine Neugier weckt. Mit meiner kleinen Taschenlampe leuchte ich auf die Armbanduhr. Ich traue meinen Augen nicht: Es ist noch nicht mal fünf. Trotzdem kommt das Licht schon von einer Gruppe Pilger, die ihre Leuchten um die Stirn tragen, ähnlich den Bergmannslampen. Bereits komplett angezogen, packen sie gerade ihre Rucksäcke. Jeder Handgriff sitzt wie tausendfach geübt. Leise fällt die Tür hinter ihnen ins Schloss. Bestimmt sind sie die Allerersten auf dem Camino.
Einmal wach, schleiche auch ich mich vorbei an den vielen Schlafenden. Dadurch bin ich im Waschraum ganz für mich. So früh zu sein, ist also ein großer Vorteil. Puh, das Wasser ist über Nacht noch kälter geworden!
Gegen sechs Uhr geht die Beleuchtung an. Nun sind sie alle wach, und mir scheint, der ganze Raum gerät in Bewegung. Auch ich kann es nun kaum mehr erwarten, loszuwandern. Ich schultere meinen Rucksack und trete hinaus in die klare, kalte Luft.
Ein leises Knirschen begleitet meine ersten Schritte auf dem Camino, denn die Wiese vor der Herberge ist mit Raureif überzogen. Jemand sagt, es hat nur ein Grad plus. Doch schon schickt die Sonne ihre ersten Strahlen, und der Himmel leuchtet in einem tiefen Blau, ohne eine einzige Wolke.
Die gelben Pfeile, die den Pilgerweg markieren, sind sehr gut sichtbar angebracht. Mein Buch über den Jakobsweg, »Der Weg ist das Ziel«, ist mir eine weitere sichere Hilfe. Als Erstes sehe ich mir das darin beschriebene ehemalige Pilgerhospital an. Ein imposantes Gebäude mit Innenhöfen, Säulengängen und Brunnen. Gerade erreicht das erste Sonnenlicht die über und über mit Figuren verzierten Zinnen. Ich kann mich von dem Anblick gar nicht trennen, aber ich muss ja weiter. Beinahe wäre ich auf dem Trampelpfad auf eine grünlich schimmernde Echse getreten. Als ich sie fotografiere, dreht sie ihren Kopf wie in Zeitlupe zu mir. Noch halb erstarrt vor Kälte, erwartet sie hier wohl die wärmende Sonne.
Schon begegnet mir auch der erste Storch und landet auf einer Wiese, um sich sein Frühstück zu suchen. Vielleicht findet er ja eine dicke, fette Echse. Auch wenn mir dieser Gedanke nicht so recht gefallen will. Obwohl nur ein paar Schritte von mir entfernt, stolziert der Storch gemächlich über die Wiese. Wie schlau er doch ist. Er weiß, ich kann ihm nicht näher kommen: Zwischen mir und ihm ist ein hoher Drahtzaun. Und ihn fotografieren kann ich auch nicht, stets habe ich nur das Gitter vor der Linse. Als ich den Ort Villalbilla erreiche, entdecke ich sein Nest auf dem Kirchturm. Störche werden mich auf dem ganzen Weg begleiten. Es gibt keinen Turm und kein höheres Gebäude ohne ein Nest, manchmal sind es sogar zwei oder drei.
Auch für mich ist es nun Zeit für ein Frühstück. Im nächsten Gasthaus bestelle ich mir Tee und ein Croissant.
Der erste Schritt sei der schwerste, sagt man. Dieses Problem hatte ich gar nicht, fällt mir jetzt auf: Ich bin schon zehn Kilometer gegangen, ohne groß darüber nachzudenken. Allerdings dürfen die Pausen nicht zu lang werden, denn ich gehe sehr langsam und habe noch zehn Kilometer vor mir. Frisch gestärkt, suche ich mir den Weg durch den Ort. Dabei begegne ich einer Dorfbewohnerin, die mich ganz unvermittelt anspricht. Sie erzählt mir von den Wegen und Orten bis Santiago de Compostela. Die Orte beschreibt sie als schön oder weniger schön, die Wege dorthin als sehr schwer oder weniger schwer, und Santiago sei einfach wunderbar. Ganz plötzlich, so wie sie ja auch begonnen hatte, hört sie auf zu reden, streichelt mir sanft über die Schulter und wünscht mir Buen Camino.
Riesige Steinberge sind jetzt rechts und links des Weges aufgetürmt. Oft sind die Steine zu Figuren aufeinandergesetzt. Aus
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