Mein Katalonien
Hasses. Die Maikämpfe hatten unausrottbare Folgen hinterlassen. Mit dem Fall der Regierung Caballero waren die Kommunisten endgültig an die Macht gekommen. Die Verantwortung für die innere Ordnung war kommunistischen Ministern übertragen worden, und niemand zweifelte daran, daß sie ihre politischen Rivalen zerschmettern würden, sobald sie auch nur einen Zipfel der Gelegenheit zu fassen kriegten. Bisher war noch nichts geschehen, und ich selbst hatte nicht einmal eine Idee davon, was geschehen würde. Dennoch hatte man das Gefühl ständiger, unbestimmter Gefahr, die Ahnung eines bevorstehenden, schlimmen Ereignisses. Obwohl man sich in Wirklichkeit nicht an einer Verschwörung beteiligte, zwang einen doch die Atmosphäre, sich wie ein Verschwörer zu fühlen. Es hatte den Anschein, als verbrächte man seine Zeit damit, gefüsterte Unterhaltungen in den Ecken der Cafés zu führen, während man sich gleichzeitig fragte, ob die Person am Nebentisch nicht ein Polizeispion sei.
Auf Grund der Pressezensur machten alle möglichen finsteren Gerüchte die Runde. Nach einem dieser Gerüchte plante die Regierung Negrin-Prieto, den Krieg durch einen Kompromiß beizulegen. Damals war ich geneigt, daran zu glauben, denn die Faschisten umzingelten gerade Bilbao, und offensichtlich tat die Regierung nichts, um es zu retten. In der ganzen Stadt wurden zwar baskische Fahnen gehißt, Mädchen gingen mit Sammelbüchsen in die Cafés, und man hörte die üblichen Rundfunksendungen über die »heroischen Verteidiger«, doch eine wirkliche Unterstützung gab man den Basken nicht. Man konnte fast glauben, die Regierung führe ein doppeltes Spiel. Spätere Ereignisse bewiesen, daß ich in diesem Fall völlig unrecht hatte. Aber es hat den Anschein, als wäre Bilbao zu retten gewesen, hätte man nur ein wenig mehr Energie gezeigt. Selbst eine erfolglose Offensive an der aragonischen Front hätte Franco gezwungen, einen Teil seiner Armee abzuziehen. Die Regierung jedoch startete keinerlei Offensivhandlungen, bis es viel zu spät war, ja bis Bilbao schon fiel. Die C.N.T. verteilte eine große Anzahl Flugblätter, auf denen »Seid wachsam!« stand und auf denen angedeutet wurde, daß eine gewisse Partei (also die Kommunisten) einen ›coup d’état‹ planten. Weit verbreitet war auch die Furcht, Katalonien könnte angegriffen werden. Schon vorher, als wir an die Front zurückkehrten, hatte ich gesehen, daß viele Kilometer hinter der Front starke Befestigungen gebaut wurden und man überall in Barcelona neue, bombensichere Unterstände aushob. Es gab häufig Fliegeralarm und Warnung vor Beschießung von der See aus. Meistens aber war es ein falscher Alarm; jedesmal wenn die Sirenen heulten, wurden jedoch die Lichter der ganzen Stadt stundenlang ausgelöscht, und die furchtsame Bevölkerung tauchte in die Keller. Überall gab es Polizeispione. Die Gefängnisse waren noch mit Gefangenen aus den Maikämpfen vollgestopft, und weitere Menschen – immer Anarchisten und P.O.U.M.-Anhänger – verschwanden einzeln oder zu zweit im Gefängnis. Soviel man erfahren konnte, wurde bisher niemand verurteilt oder angeklagt, nicht einmal eines so eindeutigen Vergehens wie des »Trotzkismus«. Man wurde einfach ins Gefängnis geworfen und dort meistens ›incomunicado‹ gehalten. Bob Smillie lag immer noch in Valencia im Gefängnis. Wir konnten nichts ausfindig machen, nur daß weder dem örtlichen Vertreter der I.L.P. noch dem Rechtsanwalt, den man genommen hatte, erlaubt wurde, ihn zu sehen. Immer mehr Ausländer aus der Internationalen Brigade und anderen Milizeinheiten wurden ins Gefängnis gesteckt. Normalerweise wurden sie unter dem Vorwand der Fahnenflucht verhaftet. Es war typisch für die allgemeine Lage, daß niemand genau wußte, ob ein Milizsoldat ein Freiwilliger oder ein regulärer Soldat war. Einige Monate früher hatte man jedem gesagt, der sich der Miliz anschloß, er sei ein Freiwilliger und könne jederzeit, wenn er wolle, seine Entlassungspapiere erhalten, sobald er wieder mit Urlaub an der Reihe sei. Jetzt schien es so, als habe die Regierung ihre Meinung geändert. Ein Milizmann war ein regulärer Soldat und galt als fahnenflüchtig, wenn er versuchte, nach Hause zu gehen. Aber selbst hierüber war sich niemand sicher. An einigen Abschnitten der Front gaben die Vorgesetzten immer noch Entlassungspapiere aus. Manchmal wurden sie an der Grenze anerkannt, manchmal auch nicht. Geschah es nicht, wurde man sofort ins Gefängnis
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