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Mein Katalonien

Titel: Mein Katalonien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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von uns in den Lazarettzug geladen und nach Lerida hinabgeschickt.
    Ich blieb fünf oder sechs Tage in Lerida. Es war ein großes Lazarett, in dem Kranke, Verwundete und normale Zivilpatienten mehr oder weniger durcheinander lagen. Einige Männer in meiner Abteilung hatten abscheuliche Wunden. Im Bett neben mir lag ein Bursche mit schwarzem Haar, der unter irgendeiner Krankheit litt und der eine Medizin bekam, die seinen Urin so grün wie Smaragd färbte. Seine Bettflasche war eine Sehenswürdigkeit in der ganzen Abteilung. Ein englischsprechender holländischer Kommunist hatte gehört, daß ein Engländer im Lazarett liege, und brachte mir englische Zeitungen und freundete sich mit mir an. Er war in den Oktoberkämpfen schrecklich verwundet worden und hatte es irgendwie geschafft, sich im Lazarett von Lerida anzusiedeln und eine der Krankenschwestern zu heiraten. Sein Bein war durch die Wunde so eingeschrumpft, daß es nicht dicker als mein Arm war. Zwei Milizsoldaten, die ich in der ersten Woche an der Front kennenlernte, hatten Urlaub und kamen, um einen verwundeten Freund zu besuchen. Sie erkannten mich. Die Jungens waren etwa achtzehn Jahre alt. Sie standen unbeholfen an meinem Bett und versuchten, etwas zu sagen. Um zu zeigen, wie leid es ihnen tat, daß ich verwundet worden war, nahmen sie plötzlich ihren ganzen Tabak aus der Tasche, gaben ihn mir und rannten davon, ehe ich ihn zurückgeben konnte. Wie typisch spanisch! Ich erfuhr später, daß man in der ganzen Stadt keinen Tabak kaufen konnte und sie mir die Ration einer vollen Woche gegeben hatten.
    Nach einigen Tagen konnte ich aufstehen und mit dem Arm in der Binde umherspazieren. Wenn der Arm herabhing, schmerzte er jedoch sehr. Gleichzeitig hatte ich auch ziemlich heftige innere Schmerzen, die durch meinen Fall verursacht worden waren. Meine Stimme war fast vollkommen verschwunden. Aber nicht einen Augenblick verspürte ich Schmerzen von der Wunde selbst. Das ist anscheinend der Normalfall. Der ungeheure Schlag der Kugel verhindert ein direktes Gefühl in der Wunde. Der Splitter einer Granate oder Handgranate, der sehr ausgezackt ist und der einen normalerweise weniger schwer trifft, würde wahrscheinlich wie der Teufel schmerzen. Auf dem Lazarettgelände gab es einen netten Garten mit einem Teich mit Goldfischen und kleinen dunkelgrauen Fischen; ich glaube, es waren Ukeleie. Ich saß stundenlang und beobachtete sie. Durch die Behandlung in Lerida erhielt ich einen Einblick in das Lazarettwesen an der aragonischen Front. Ob es an anderen Fronten auch so ist, weiß ich nicht. Die Lazarette waren schon sehr gut. Die Ärzte waren fähige Leute, und es schien keinen Mangel an Medizin oder Ausrüstung zu geben. Aber man machte zwei schlimme Fehler, wodurch zweifellos Hunderte oder Tausende von Männern gestorben sind, die man hätte retten können.
    Der eine Fehler bestand darin, daß alle Lazarette im weiten Umkreis hinter der Front mehr oder weniger nur als Feldlazarett und Durchgangsstation benutzt wurden. Folglich wurde man dort nur dann behandelt, wenn die Verwundung zu schwer und ein Transport unmöglich war. Theoretisch wurden die meisten Verwundeten direkt nach Barcelona oder Tarragona geschickt, aber wegen des mangelnden Transportraums dauerte es oft eine Woche oder zehn Tage, bis sie nach dort kamen. Man ließ sie in Sietamo, Barbastro, Monzon, Lerida und anderen Orten warten. Während dieser Zeit erhielten sie keine Behandlung, außer gelegentlich einem sauberen Verband, manchmal aber nicht einmal das. Männer mit abscheulichen Granatwunden und zerschmetterten Knochen wurden in eine Art Verschalung aus Verbandmull und Gips eingehüllt. Die Bezeichnung der Wunde wurde mit Bleistift außen aufgeschrieben, und normalerweise wurde die Verschalung nicht entfernt, ehe der Mann zehn Tage später in Barcelona oder Tarragona ankam. Unterwegs war es nahezu ausgeschlossen, daß die Wunden untersucht wurden. Die wenigen Ärzte konnten mit der Arbeit nicht fertig werden. Sie gingen einfach schnell an den Betten vorbei und sagten: »Ja, ja, sie werden euch in Barcelona behandeln.« Wir hörten nur jeden Tag das Gerücht, daß der Lazarettzug manaña nach Barcelona abfahre. Der zweite Fehler bestand im Mangel an guten Krankenschwestern. Anscheinend gab es nicht genug ausgebildete Schwestern in Spanien, vielleicht weil diese Arbeit vor dem Kriege hauptsächlich von Nonnen getan wurde. Ich kann mich nicht über die spanischen Schwestern beklagen, sie behandelten

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