Mein Katalonien
wurde, die Friseure seien nun keine Sklaven mehr. Farbige Plakate in den Straßen forderten die Prostituierten auf, sich von der Prostitution abzuwenden. Die Art, in der die idealistischen Spanier die abgedroschenen Phrasen der Revolution wörtlich nahmen, hatte für jeden Angehörigen der abgebrühten, höhnischen Welt der englisch sprechenden Völker etwas Rührendes. Man verkaufte damals in den Straßen für wenige Centimos recht naive revolutionäre Balladen über die proletarische Brüderschaft oder die Bosheit Mussolinis. Ich habe öfters gesehen, wie ein des Lesens fast unkundiger Milizsoldat eine dieser Balladen kaufte, mit viel Mühe die Worte buchstabierte und sie dann, wenn er dahintergekommen war, zu der passenden Melodie sang.
Während der ganzen Zeit war ich in der Lenin-Kaserne, angeblich, um für die Front ausgebildet zu werden. Als ich in die Miliz eintrat, hatte man mir gesagt, daß ich am nächsten Tag zur Front geschickt werden solle. Aber in Wirklichkeit mußte ich warten, bis eine neue ›centuna‹ zusammengestellt wurde. Die Arbeitermiliz, in aller Eile zu Beginn des Krieges von den Gewerkschaften aufgestellt, hatte man bis jetzt noch nicht nach dem Vorbild der regulären Armee organisiert. Kommandoeinheiten waren der »Zug« (sección, A.d.Ü.) mit etwa dreißig Mann, die ›centuna‹ mit etwa hundert Mann und die »Kolonne« (columna, A.d.Ü.), praktisch nichts anderes als eine große Zahl Soldaten. Die Lenin-Kaserne bestand aus mehreren großartigen Steinbauten, einer Reitschule und weitläufigen, gepfasterten Höfen. Sie war früher als Kavalleriekaserne benutzt worden, die man während der Kämpfe im Juli erobert hatte. Meine centuria schlief in einem der Ställe unter den Steinkrippen, auf denen noch die Namen der Kavalleristen standen, die die Pferde zu versorgen hatten. Die Pferde hatte man erbeutet und an die Front geschickt, aber die Ställe stanken noch immer nach Pferdepisse und verfaultem Hafer. Ich blieb ungefähr eine Woche in der Kaserne. Ich erinnere mich hauptsächlich an den Pferdegeruch, die ungeschickten Trompetensignale (unsere Trompeter waren alle Amateure – ich hörte zum ersten Male die richtigen spanischen Trompetensignale, als ich vor der faschistischen Linie auf sie lauschte), das Trapptrapp der mit Nägeln beschlagenen Stiefelsohlen auf dem Kasernenhof, die langen Morgenparaden im winterlichen Sonnenschein und die wilden Fußballspiele auf dem Kies der Reitschule mit fünfzig Mann auf jeder Seite. In der Kaserne lagen vielleicht tausend Mann und etwa zwanzig Frauen, außerdem die Frauen der Milizsoldaten, die das Essen kochten. Einige Frauen dienten immer noch in der Miliz, aber nicht mehr viele. In den ersten Schlachten hatten sie ganz selbstverständlich Seite an Seite mit den Männern gekämpft. Während einer Revolution scheint das eine natürliche Sache zu sein. Jetzt aber änderten sich die Ansichten schon. Die Milizsoldaten mußten aus der Reitschule gehalten werden, während die Frauen dort exerzierten, denn sie lachten über die Frauen und brachten sie aus dem Konzept. Ein paar Monate vorher hätte niemand etwas Komisches dabei gefunden, daß eine Frau mit einem Gewehr umging.
Die ganze Kaserne befand sich in einem schmutzigen, chaotischen Zustand, in den die Miliz jedes Gebäude versetzte, das sie bewohnte. Das war wohl eines der Nebenprodukte der Revolution. In jeder Ecke fand man haufenweise zerschlagene Möbel, zerrissene Sättel, Kavalleriehelme aus Messing, leere Säbelscheiden und verfaulende Verpflegung. Lebensmittel wurden fürchterlich vergeudet, besonders das Brot. Nach jeder Mahlzeit wurde allein aus meiner Stube ein Korb voll Brot weggeworfen, eine schimpfliche Sache, wenn gleichzeitig die Zivilbevölkerung danach darbte. Wir aßen aus ständig schmierigen kleinen Blechpfannen und saßen an langen Tischplatten, die man auf Böcke gelegt hatte. Wir tranken aus einem scheußlichen Gefäß, das man ›porrón‹ nannte. Ein ›porrón‹ ist eine Glasflasche mit einer spitzen Tülle, aus der ein dünner Strahl Wein spritzt, wenn man die Flasche kippt. So kann man aus einiger Entfernung trinken, ohne die Flasche mit den Lippen zu berühren, und sie kann von Hand zu Hand weitergereicht werden. Sobald ich einen ›porrón‹ in Gebrauch sah, streikte ich und verlangte einen Trinkbecher. In meinen Augen ähnelten diese Trinkflaschen allzusehr Bettflaschen, besonders, wenn sie mit Weißwein gefüllt waren.
Nach und nach wurden Uniformen an die
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