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Mein Katalonien

Titel: Mein Katalonien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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selbstverständlich, ihm das beizubringen, was er wirklich braucht: wie man in Deckung geht, wie man in offenem Gelände vorgeht, wie man auf Wache zieht und wie man eine Befestigung errichtet – vor allem aber, wie man seine Waffen gebraucht. Aber man zeigte diesem Haufen eifriger Kinder, die in wenigen Tagen an die Front geworfen werden sollten, nicht einmal, wie man ein Gewehr abfeuert oder den Sicherungsstift aus einer Handgranate herauszieht. Damals begriff ich noch nicht, daß dies nur geschah, weil man keine Waffen hatte. In der P.O.U.M.-Miliz war der Mangel an Gewehren so hoffnungslos, daß die frischen Truppen, wenn sie zur Front kamen, ihre Gewehre immer von den Truppen übernehmen mußten, die sie ablösten. Ich glaube, in der ganzen Lenin-Kaserne gab es nur die Gewehre, die von den Wachtposten benutzt wurden.
    Obwohl wir für normale Begriffe ein noch vollständig undisziplinierter Haufen waren, glaubte man nach einigen Tagen, wir seien schon so weit, daß wir uns in der Öffentlichkeit sehen lassen könnten. So ließ man uns morgens in die öffentlichen Gärten auf dem Hügel jenseits der Plaza de España marschieren. Hier war der gemeinsame Übungsplatz aller Parteimilizen, außerdem der Carabineros und der ersten Einheiten der neu aufgestellten Volksarmee. In den öffentlichen Gärten bot sich ein merkwürdiges und ermutigendes Bild. Steif marschierten die Soldaten in Abteilungen und Kompanien zwischen den abgezirkelten Blumenbeeten die Wege und Alleen auf und ab. Sie warfen ihre Brust heraus und versuchten verzweifelt, wie Soldaten auszusehen. Alle waren ohne Waffen, und keiner hatte eine komplette Uniform, obwohl bei den meisten die Milizuniform wenigstens stückweise vorhanden war. Die Prozedur blieb sich meistens ziemlich gleich. Drei Stunden lang stolzierten wir auf und ab (der spanische Marschschritt ist sehr kurz und schnell), dann machten wir halt, verließen unsere Formation und strömten durstig zu einem Lebensmittelladen auf halbem Wege hügelabwärts. Dieser Laden machte ein blühendes Geschäft mit billigem Wein. Jeder war sehr freundlich zu mir. Als Engländer wurde ich wie eine Art Kuriosität betrachtet. Die Carabinero-Offiziere hielten viel von mir und luden mich zu manchem Glas Wein ein. Unterdessen ließ ich nicht locker, unseren Leutnant, sooft ich ihn erwischte, zu beschwören, mich im Gebrauch des Maschinengewehrs zu unterrichten. Ich zog mein Hugo-Wörterbuch aus der Tasche und fiel in meinem abscheulichen Spanisch über ihn her: »Yo sé manejar fusil. No sé manejar ametralladora. Quiero aprender ametralladora. Cuándo vamos aprender ametralladora?«
    Die Antwort war stets ein gequältes Lächeln und das Versprechen, der Unterricht am Maschinengewehr werde ›manaña‹ beginnen. Selbstverständlich kam ›manaña‹ nie. So vergingen mehrere Tage, und die Rekruten lernten, beim Marschieren
    Schritt zu halten und fast elegant Haltung anzunehmen. Aber wenn sie wußten, aus welchem Ende des Gewehrs die Kugel kam, so war das schon ihr ganzes Wissen. Eines Tages gesellte sich ein bewaffneter Carabinero zu uns, als wir gerade haltmachten, und erlaubte uns, sein Gewehr zu untersuchen. Es stellte sich heraus, daß in meiner gesamten Abteilung niemand außer mir auch nur wußte, wie man ein Gewehr lädt, geschweige denn, wie man damit zielt.
    Während der ganzen Zeit hatte ich die üblichen Mühen mit der spanischen Sprache. In der Kaserne gab es außer mir nur noch einen Engländer, und selbst unter den Offizieren sprach niemand ein Wort Französisch. Die Sache wurde für mich auch dadurch nicht leichter, daß meine Kameraden untereinander normalerweise katalanisch sprachen. Die einzige Art, mich überhaupt verständlich zu machen, bestand darin, überall ein kleines Lexikon mit mir herumzutragen, das ich in Krisenmomenten geschwind aus meiner Tasche hervorzauberte. Aber ich möchte dennoch eher ein Ausländer in Spanien sein als in den meisten anderen Ländern. Wie leicht ist es, in Spanien Freunde zu gewinnen! Schon nach ein oder zwei Tagen riefen mich viele Milizsoldaten bei meinem Vornamen, weihten mich in alle Tricks ein und überschütteten mich mit ihrer Gastfreundschaft. Ich schreibe kein Propagandabuch, und ich möchte auch nicht die P.O.U.M.-Miliz idealisieren. Das ganze Milizsystem hatte ernste Fehler, und die Leute selbst waren ein zusammengewürfelter Haufen, denn zu dieser Zeit ließ die freiwillige Rekrutierung nach, und viele der besten Männer waren schon an der

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