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Mein Katalonien

Titel: Mein Katalonien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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Rekruten ausgegeben, und da wir in Spanien waren, wurde alles einzeln verteilt, so daß niemand genau wußte, wer was erhalten hatte. Manches, was wir am nötigsten gebrauchten, wie etwa Koppel und Patronentaschen, wurde erst im letzten Augenblick ausgegeben, als der Zug, der uns an die Front bringen sollte, schon wartete. Ich habe von einer »Uniform« der Miliz gesprochen, das erweckt wahrscheinlich einen falschen Eindruck. Es war eigentlich keine Uniform, und vielleicht wäre »Multiform« der richtige Name dafür. Die Einkleidung jedes einzelnen erfolgte zwar nach demselben allgemeinen Plan, aber man erhielt nicht in zwei Fällen das gleiche. Praktisch trug jeder in der Armee Kordkniehosen, aber damit hörte die Uniformität auf. Einige trugen Wickelgamaschen, andere Kordgamaschen, wieder andere lederne Gamaschen oder hohe Stiefel. Jeder trug eine Jacke mit Reißverschluß, aber einige der Jacken waren aus Leder, andere aus Wolle und in allen erdenklichen Farben. Die Form der Mützen war genauso unterschiedlich wie die Leute, die sie trugen. Normalerweise schmückte man die Mütze vorne mit einem Parteiabzeichen, außerdem band sich fast jeder ein rotes oder rotschwarzes Taschentuch um den Hals. Eine Milizkolonne war damals ein außergewöhnlich bunter Haufen. Aber man mußte die Kleidung eben dann verteilen, wenn sie von der einen oder anderen Fabrik überstürzt geliefert wurde. In Anbetracht der ganzen Umstände war es nicht einmal eine so schlechte Kleidung. Hemden und Socken allerdings waren aus miserabler Baumwolle, vollständig nutzlos bei Kälte. Ich wage nicht auszudenken, was die Milizsoldaten während der ersten Monate erduldet haben müssen, als noch nichts organisiert war. Ich erinnere mich daran, daß ich einmal eine etwa zwei Monate alte Zeitung las, in der ein P.O.U.M. 1 -Führer nach dem Besuch der Front schrieb, er wolle sich darum kümmern, daß »jeder Milizsoldat eine Decke bekommt«. Dieser Satz läßt einen schaudern, wenn man jemals in einem Schützengraben geschlafen hat.
    1 Arbeiterpartei der marxistischen Einigung (Partido Obrero de Unifcación Marxista).
    Nachdem ich zwei Tage in der Kaserne war, begann man mit der »Instruktion«, wie man es komisch genug nannte. Anfangs gab es schreckliche Szenen des Durcheinanders. Die Rekruten waren hauptsächlich sechzehn- oder siebzehnjährige Jungen aus den Armutsvierteln Barcelonas, voll revolutionärer Begeisterung, aber vollständig ahnungslos in bezug auf die Anforderungen eines Krieges. Es war sogar unmöglich, sie in Reih und Glied aufzustellen. Disziplin existierte nicht: wenn ein Befehl einem Mann nicht gefiel, trat er aus dem Glied vor und argumentierte heftig mit dem Offizier. Der Leutnant, der uns ausbildete, war ein untersetzter, angenehmer junger Mann mit einem frischen Gesicht, der vorher als Offizier in der regulären Armee gedient hatte. Mit seiner feschen Haltung und in seiner blitzblanken Uniform sah er immer noch wie ein Armeeoffizier aus. Sonderbarerweise war er ein ernster und glühender Sozialist. Mehr noch als die Leute selbst bestand er auf vollständiger sozialer Gleichheit zwischen allen Rängen. Ich erinnere mich, wie er schmerzlich überrascht war, als ihn ein unwissender Rekrut mit »Señor« anredete. »Was! Señor.’ Wer ruft mich Señor Sind wir nicht alle Kameraden?« Ich bezweifle, daß ihm diese Haltung seine Arbeit erleichterte. Unterdessen erhielten die ungeschliffenen Rekruten keinerlei militärische Ausbildung, die ihnen in irgendeiner Weise nützlich sein konnte. Man hatte mir gesagt, daß Ausländer an der Instruktion nicht teilnehmen müßten. Ich hatte bemerkt, daß die Spanier felsenfest daran glaubten, alle Ausländer wüßten mehr von militärischen Dingen als sie selbst. Aber natürlich ging ich mit den anderen zum Dienst. Ich wollte vor allem die Bedienung eines Maschinengewehrs lernen. Ich hatte noch nie Gelegenheit gehabt, damit umzugehen. Zu meiner Bestürzung erfuhr ich, daß man uns nichts über den Gebrauch dieser Waffe beibringen werde. Die sogenannte Instruktion erschöpfte sich in einem völlig veralteten und geistlosen Exerzierdienst. Rechts um, links um, ganze Abteilung kehrt, Parademarsch in Dreierreihen und der ganze übrige nutzlose Unsinn, den ich schon gelernt hatte, als ich fünfzehn Jahre alt war. Das war wirklich eine unglaubliche Art, um eine Armee für den Kleinkrieg auszubilden. Wenn man nur einige Tage zur Verfügung hat, um einen Soldaten auszubilden, ist es eigentlich

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