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Mein Katalonien

Titel: Mein Katalonien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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enorme, aufgedunsene Kreaturen, die über die Unrathaufen watschelten und so schamlos waren, daß sie nicht einmal wegliefen, es sei denn, man schoß auf sie.
    Endlich war der Frühling da. Das Blau des Himmels war weicher, die Luft wurde plötzlich linde. Die Frösche paarten sich lärmend in den Wassergräben. Rund um die Trinkstellen der Maultiere des Dorfes fand ich ausgezeichnete kleine Frösche von der Größe eines Pennys, die so glänzten, daß das frische Gras neben ihnen blaß wirkte. Die Bauernburschen gingen mit Eimern hinaus, um Schnecken zu jagen, die sie auf Blechen lebendig rösteten. Sobald das Wetter besser wurde, kamen die Bauern zum Frühjahrspfügen hinaus. Es ist typisch für die vollständige Ungewißheit, in die die ganze, spanische Agrarrevolution gehüllt ist, daß ich niemals genau erfahren konnte, ob das Land hier kollektiviert wurde oder ob es die Bauern einfach unter sich verteilt hatten. Ich vermute, daß es theoretisch kollektiviert worden war, da diese Gegend von der P.O.U.M. und den Anarchisten beherrscht wurde. Jedenfalls waren die Landbesitzer nicht mehr da, wurden die Felder bebaut und schienen die Leute zufrieden zu sein. Ich hörte nie auf, mich über die Freundlichkeit der Bauern uns gegenüber zu wundern. Einigen der älteren unter ihnen muß der Krieg sinnlos erschienen sein, denn offensichtlich brachte er nur Mangel an allem und ein trübes, langweiliges Leben für jeden. Selbst in den besten Zeiten hassen die Bauern, wenn Truppen bei ihnen einquartiert werden. Aber sie waren unterschiedslos freundlich. Ich vermute, die Erklärung dafür war, daß wir, so unerträglich wir in mancher Hinsicht auch sein mochten, doch zwischen ihnen und ihren ehemaligen Landbesitzern standen. Ein Bürgerkrieg ist eine eigenartige Sache: Huesca war keine acht Kilometer weit weg; es war der Markt für diese Leute, sie alle hatten dort Verwandte, jede Woche ihres Lebens waren sie dorthin gegangen, um ihr Gefügel und ihre Gemüse zu verkaufen; nun aber lag seit acht Monaten eine unüberwindbare Barriere aus Stacheldraht und Maschinengewehren dazwischen. Manchmal vergaßen sie das. So sprach ich einmal zu einer alten Frau, die eine dieser winzigen eisernen Lampen trug, in denen die Spanier Olivenöl brennen. »Wo kann ich solch eine Lampe kaufen?« sagte ich. »In Huesca«, sagte sie, ohne nachzudenken, und dann lachten wir beide. Die Dorfmädchen waren prächtige, lebhafte Geschöpfe mit kohlschwarzem Haar, schwingendem Gang und aufrichtigem, direktem Benehmen, wahrscheinlich ein Nebenprodukt der Revolution.
    Männer in zerlumpten blauen Hemden, schwarzen Kordhosen und breitrandigen Strohhüten pfügten die Felder mit Gespannen von Maultieren, deren Ohren rhythmisch hin und her schwangen. Ihre Pfüge waren elende Dinger, die den Boden aufwühlten, aber keine richtige Furche zogen. Sämtliche landwirtschaftlichen Maschinen waren bedauernswert veraltet, bedingt durch den hohen Preis aller aus Eisen hergestellten Gegenstände. So wurde beispielsweise eine zerbrochene Pfugschar zusammengestückelt und erneut zusammengestückelt, bis sie manchmal nur noch aus Stücken bestand. Rechen und Mistgabeln wurden aus Holz gemacht. Spaten waren diesen Leuten, die selten ein paar Stiefel besaßen, unbekannt. Sie gruben ihre Felder mit einer schwerfälligen Hacke um, wie sie in Indien benutzt wird. Sie hatten eine Egge, die an das späte Steinzeitalter erinnerte. Sie bestand aus zusammengefügten Brettern und hatte ungefähr die Größe eines Küchentisches. In die Bretter waren Hunderte von Löchern gebrannt und in jedes Loch ein Stück Feuerstein geklemmt worden, der genauso wie von den Menschen vor zehntausend Jahren zurechtgeschlagen worden war. Ich erinnere mich, wie ich fast vor Schrecken erstarrte, als ich zum erstenmal in einer zerschlagenen Hütte im Niemandsland ein derartiges Instrument fand. Ich mußte eine Weile überlegen, ehe ich begriff, daß es eine Egge war. Es wurde mir übel, wenn ich an die Arbeit dachte, die in der Herstellung eines solchen Apparates steckte, und wenn ich mir die Armut vorstellte, die Feuerstein statt Stahl benutzen mußte. Seitdem betrachte ich die Industrialisierung mit immer größerem Wohlwollen. Aber in diesem Dorf gab es auch zwei moderne landwirtschaftliche Traktoren, die zweifellos auf einem Gut eines großen Landbesitzers erbeutet worden waren.
    Ein- oder zweimal wanderte ich zu dem kleinen, von Mauern eingefaßten Kirchhof hinaus, der etwa zwei Kilometer

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