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Mein Katalonien

Titel: Mein Katalonien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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Kleidung, Zigaretten – alles wurde entweder von der Post nicht angenommen oder in Frankreich beschlagnahmt. Seltsamerweise gelang es als einziger Firma den Armee- und Marineläden, meiner Frau ein Paket mit Tee zu schicken, in einem denkwürdigen Fall sogar eine Büchse mit Keks. Die arme alte Armee und Marine! Sie taten nobel ihre Pflicht, aber vielleicht hätten sie sich besser gefühlt, wenn ihre Sachen auf Francos Seite der Barrikaden gegangen wären. Das schlimmste von allem war der Mangel an Tabak. Zu Beginn des Krieges hatte man uns täglich ein Päckchen Zigaretten gegeben, dann wurde die Ration auf acht Zigaretten am Tag vermindert, dann auf fünf. Schließlich gab es zehn mörderische Tage, an denen überhaupt kein Tabak ausgegeben wurde. Zum erstenmal sah ich in Spanien, was man jeden Tag in London sieht, wie nämlich Leute Kippen aufsammeln.
    Gegen Ende März hatte ich eine Blutvergiftung an der Hand, die geschient und in eine Schlinge gelegt werden mußte. Ich mußte zum Hospital gehen, aber es lohnte sich nicht, mich wegen solch einer kleinen Verletzung nach Sietamo zu schicken, und so blieb ich im sogenannten Hospital von Monforite, das nur eine Behandlungsstation für Verwundete war. Ich blieb dort etwa zehn Tage, einen Teil der Zeit verbrachte ich im Bett. Die ›practicantes‹ (Krankenhelfer) stahlen praktisch jeden Wertgegenstand, den ich besaß, einschließlich meiner Kamera und aller meiner Fotografen. Jeder stahl an der Front, das war eine unvermeidbare Folge des Mangels, aber die Leute im Hospital waren immer die schlimmsten. Im Hospital in Barcelona erzählte mir später ein Amerikaner, der gekommen war, um sich der Internationalen Brigade anzuschließen, daß sein Schiff von einem italienischen Unterseeboot torpediert wurde. Als man ihn verwundet an die Küste brachte und in einen Krankenwagen hob, stahlen die Krankenträger sogar seine Armbanduhr.
    Während mein Arm in einer Binde lag, verbrachte ich einige glückliche Tage damit, durch die Landschaft zu spazieren. Monforite war das übliche Gewirr von Lehm- und Steinhütten mit engen, gewundenen Gassen, die von Lastwagen aufgewühlt worden waren, bis sie wie Mondkrater aussahen. Die Kirche war ziemlich zerstört worden, aber sie wurde jetzt als Militärlager benutzt. In der ganzen Nachbarschaft gab es nur zwei größere Bauernhäuser, Torre Lorenzo und Torre Fabian, und nur zwei wirklich große Gebäude, vermutlich die Häuser der Landbesitzer, die einst über diese Landschaft geherrscht hatten. Ihr Wohlstand spiegelte sich in den erbärmlichen Hütten der Bauern. Direkt hinter dem Fluß, ganz in der Nähe der Frontlinie, stand eine riesige Getreidemühle mit einem dazugehörigen Landhaus. Es war eine Schande zu sehen, wie die riesige, teure Maschine nun ungenutzt verrostete, die hölzernen Mehlrutschen abgerissen und als Brennholz verwandt wurden. Später schickte man einige Trupps auf Lastwagen, um das Anwesen systematisch abzureißen und Brennholz für die weiter zurückliegenden Truppen zu gewinnen. Sie zerschmetterten die Bodenbohlen eines Raumes, indem sie eine Handgranate hineinwarfen. La Granja, unser Lager und unsere Küche, war möglicherweise früher einmal ein Konvent gewesen. Es gab dort riesige Höfe und Nebengebäude, die eine Fläche von viertausend Quadratmetern bedeckten, außerdem Ställe für dreißig oder vierzig Pferde. Die Landhäuser in diesem Teil Spaniens sind vom architektonischen Standpunkt gesehen nicht interessant. Aber ihre Farmgebäude aus gekalktem Stein mit runden Bögen und großartigen Dachbalken sind prächtige Anwesen, die nach einem Plan gebaut werden, der wahrscheinlich über Jahrhunderte hinweg nicht geändert wurde. Manchmal überkam mich eine gewisse schleichende Sympathie für die ehemaligen faschistischen Besitzer, wenn ich sah, wie die Miliz die eroberten Gebäude behandelte. In La Granja war jeder unbenutzte Raum in eine Latrine verwandelt worden – ein scheußliches Schlachtfeld zerschlagener Möbel und Exkremente. In der kleinen Kirche daneben waren die Wände von Granatlöchern durchbohrt und der Boden fußhoch unter Mist begraben. Im großen Hof, wo die Köche ihre Rationen austeilten, war das Durcheinander von rostigen Büchsen, Schlamm, Maultiermist und faulenden Lebensmitteln ekelhaft. Es unterstrich das alte Armeelied: Wir haben Ratten, Ratten in Kammern und Kasematten, Ratten so groß wie Katzen!
    Die Ratten in La Granja waren wirklich so groß wie Katzen oder doch fast so groß;

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