Mein Katalonien
und wenn ein paar Männer dort mit Gewehren postiert wurden, konnten sie jeden Angriff auf die P.O.U.M.-Gebäude verhindern. Die Hausmeister im Kino waren Mitglieder der C.N.T. und ließen uns kommen und gehen. Was die Zivilgardisten im Café ›Moka‹ anbelangte, so würden sie uns keinen Kummer bereiten. Sie wollten nicht kämpfen und würden glücklich sein, am Leben zu bleiben und andere leben zu lassen. Kopp wiederholte, unser Befehl laute, nicht zu schießen, außer wenn man auf uns schieße oder unsere Gebäude angreife. Obwohl er es nicht sagte, vermute ich, daß die Anführer der P.O.U.M. wütend darüber waren, in diese Geschichte hineingezogen worden zu sein, aber das Gefühl hatten, der C.N.T. zur Seite stehen zu müssen.
Man hatte Wachen im Observatorium aufgestellt. Die nächsten drei Tage und Nächte verbrachte ich ununterbrochen auf dem Dach des ›Poliorama‹ mit nur kurzen Unterbrechungen, wenn ich über die Straße zum Hotel lief, um meine Mahlzeiten einzunehmen. Ich war nicht in Gefahr und litt nur unter Hunger und Langeweile, aber dennoch war es einer der unerträglichsten Abschnitte meines ganzen Lebens. Ich glaube kaum, ein Erlebnis könnte übler sein, eine größere Enttäuschung bringen oder schließlich auch nervenaufreibender sein als jene bösen Tage des Straßenkampfes.
Ich saß auf dem Dach und wunderte mich über die Unsinnigkeit der ganzen Sache. Aus den kleinen Fenstern im Observatorium konnte man kilometerweit im Umkreis sehen: Blick über Blick auf hohe, schlanke Gebäude, Glaskuppeln und phantastisch gewellte Dächer mit leuchtend grünen, kupferfarbenen Ziegeln. Nach Osten hinüber sah man das glitzernde blaßblaue Meer. Es war mein erster Blick auf das Meer seit meiner Ankunft in Spanien. Die ganze riesige Stadt mit zwei Millionen Menschen war in eine Art gewaltsamer Trägheit verfallen, einen Alpdruck unbeweglichen Lärms. Die sonnendurchfuteten Straßen waren völlig leer. Es ereignete sich nichts, nur die Kugeln schwirrten zwischen den Barrikaden und den mit Sandsäcken verstellten Fenstern umher. In den Straßen bewegte sich kein Fahrzeug. Hier und da standen die Straßenbahnen bewegungslos auf der Rambla, wo die Fahrer hinausgesprungen waren, als die Kämpfe begannen. Dauernd aber schallte der teuflische Lärm von Tausenden von Steinbauten zurück, lief im Kreise umher wie ein tropischer Regen. Krachkrach, ratttatttatt dröhnte es – manchmal starb der Lärm bis auf einzelne Schüsse ab, manchmal steigerte er sich zu einem ohrenbetäubenden Gewehrfeuer. Aber er endete nie, solange das Tageslicht anhielt, und begann wieder pünktlich mit der folgenden Morgendämmerung.
Was sich, zum Teufel, eigentlich ereignete, wer gegen wen kämpfte und wer gewann, konnte man zunächst nur schwer feststellen. Die Einwohner von Barcelona sind an Straßenkämpfe gewöhnt und kennen die örtlichen Gegebenheiten so gut, daß sie durch einen bestimmten Instinkt wissen, welche politische Partei diese oder jene Straße oder Bauten halten wird. Ein Ausländer ist hoffnungslos im Nachteil. Als ich vom Observatorium hinunterschaute, konnte ich begreifen, daß die Rambla, eine der Hauptstraßen der Stadt, gewissermaßen die Trennungslinie bildete. Die Stadtviertel der Arbeiterklasse rechts von der Rambla waren vollständig in Händen der Anarchisten. Links der Rambla spielte sich in den unübersichtlichen Nebenstraßen ein verwirrender Kampf ab, aber auf dieser Seite übten die P.S.U.C. und die Zivilgarde mehr oder weniger die Kontrolle aus. Oben, an unserem Ende der Rambla, rund um die Plaza de Cataluña war die Lage so kompliziert, daß niemand sich auskennen konnte, wenn nicht jedes Gebäude eine Parteifahne gehißt hätte. Das Hauptwahrzeichen war das Hotel ›Colon‹, das Hauptquartier des P.S.U.C. das die Plaza de Cataluña beherrschte. In einem Fenster in der Nähe des vorletzten O in der großen Aufschrift ›Hotel Colon‹, die sich über die ganze Front erstreckte, hatte man ein Maschinengewehr aufgebaut, das den ganzen Platz mit tödlicher Wirkung bestreichen konnte. Hundert Meter rechts von uns die Rambla hinunter hielt die J.S.U. der Jugendverband der P.S.U.C. (die Parallele zur Jungen Kommunistischen Liga in England), ein großes Kaufhaus besetzt, dessen von Sandsäcken geschützte Seitenfenster unserem Observatorium gegenüberlagen. Sie hatten ihre große Fahne eingeholt und die katalanische Nationalfagge aufgezogen. Auf dem Telefonamt, dem Ausgangspunkt der Unruhen, wehten die
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