Mein Katalonien
kreuzweise über ihre Scheiben geklebt, damit sie nicht in tausend Stücke zersplitterten, wenn sie von einer Kugel getroffen wurden.) Manchmal wurde das Geratter des Gewehr- und Maschinengewehrfeuers noch vom Krachen der Handgranaten unterstrichen. In langen Zeitabschnitten, vielleicht insgesamt zwölfmal, gab es riesige Explosionen, die ich mir zunächst nicht erklären konnte. Sie hörten sich wie Fliegerbomben an, aber das war unmöglich, weil keine Flugzeuge da waren. Man erzählte mir später – es ist gut möglich, daß es die Wahrheit ist –, agents provocateurs hätten große Mengen Sprengstoff in die Luft gejagt, um den allgemeinen Lärm und die Panik noch zu vergrößern. Es gab jedenfalls kein Artilleriefeuer. Ich horchte darauf, denn mit Kanonenfeuer wäre die ganze Geschichte ernst geworden (Artillerie ist der entscheidende Faktor im Straßenkampf). Hinterher standen in den Zeitungen wilde Geschichten über den Straßenkampf ganzer Kanonenbatterien, aber niemand konnte ein Gebäude zeigen, das von einer Granate getroffen worden war. Jedenfalls läßt sich der Lärm von Kanonenfeuer, wenn man daran gewöhnt ist, nicht überhören.
Fast von Anfang an waren Lebensmittel sehr knapp. Unter Schwierigkeiten und im Schutz der Dunkelheit (denn die Zivilgardisten in der Rambla schossen ständig) wurde Essen vom Hotel ›Falcon‹ für die siebzehn oder zwanzig Milizsoldaten im Amtsgebäude der P.O.U.M. herbeigebracht. Aber das reichte für alle kaum aus, und so viele von uns wie möglich gingen zum Hotel ›Continental‹, um dort zu essen. Das ›Continental‹ war durch die Generalidad und nicht, wie die meisten anderen Hotels, durch die C.N.T. oder U.G.T. »kollektiviert« worden, und man behandelte es als neutrales Territorium. Kaum hatten die Kämpfe begonnen, füllte sich das Hotel bis zum Rande mit einer der außerordentlichsten Menschenansammlungen. Darunter fanden sich ausländische Journalisten, politisch Verdächtige aller Schattierungen, ein amerikanischer Flugpilot im Dienste der Regierung, verschiedene kommunistische Agenten, einschließlich eines fetten, düster aussehenden Russen, der ein Agent der Ogpu sein sollte, dessen Spitzname Charlie Chan lautete und der an seinem Gürtel einen Revolver und eine nette, kleine Handgranate trug, dann einige wohlhabende spanische Familien, die wie Mitläufer der Faschisten aussahen, zwei oder drei Verwundete der Internationalen Brigade, ein Trupp Lastwagenfahrer riesiger französischer Lastwagen, die eine Ladung Orangen nach Frankreich zurückbrachten und vom Kampf aufgehalten worden waren, und mehrere Offiziere der Volksarmee. Die Volksarmee blieb als Einheit während der ganzen Kämpfe neutral, obwohl einige Soldaten aus den Kasernen flohen und auf eigene Faust an den Kämpfen teilnahmen. Am Dienstag morgen hatte ich einige von ihnen auf den P.O.U.M.-Barrikaden gesehen. Ehe die Lebensmittelknappheit spürbar wurde und die Zeitungen den Haß schürten, hielt man anfangs allgemein die ganze Geschichte für einen Scherz. Die Leute sagten, so etwas passiere jedes Jahr in Barcelona. George Tioli, ein italienischer Journalist und großer Freund von uns, kam mit blutgetränkten Hosen zu uns herein. Er war hinausgegangen, um zu sehen, was sich ereignete. Dabei hatte er einen verwundeten Mann auf dem Bürgersteig verbunden, als jemand wie im Spiel eine Handgranate nach ihm warf, die ihn aber zum Glück nicht ernstlich verwundete. Es fällt mir ein, daß er einmal vorschlug, man solle die Pfastersteine in Barcelona numerieren, denn damit erspare man sich beim Auf- und Abbau der Barrikaden große Mühen. Ich erinnere mich auch an ein paar Leute der Internationalen Brigade, die in meinem Hotelzimmer saßen, als ich müde, hungrig und schmutzig nach einer Nachtwache zurückkam. Sie verhielten sich vollständig neutral. Wären sie gute Parteimitglieder gewesen, meine ich, so hätten sie mich auffordern sollen, die Seite zu wechseln. Zumindest aber hätten sie mich fesseln und mir die Handgranaten, von denen meine Taschen überquollen, abnehmen müssen. Statt dessen bedauerten sie mich nur, daß ich meinen Urlaub damit verbringen müsse, auf einem Dach Wache zu schieben. Die allgemeine Einstellung lautete: »Es ist nur eine Auseinandersetzung zwischen den Anarchisten und der Polizei – sie hat überhaupt keine Bedeutung.« Ich glaube, diese Beurteilung kam der Wahrheit trotz des Ausmaßes der Kämpfe und der vielen Toten näher als die offizielle Version, nach der es
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