Mein Katalonien
katalanische Nationalfagge und die anarchistische Flagge Seite an Seite. Man hatte dort einen zeitweiligen Kompromiß geschlossen: das Amt arbeitete ohne Unterbrechung, und aus dem Gebäude wurde nicht geschossen.
In unserer Stellung war es seltsam friedlich. Die Zivilgardisten im Café ›Moka‹ hatten die Stahljalousien herabgelassen und die Möbel des Cafés aufgehäuft, um eine Barrikade zu errichten. Später kam ein halbes Dutzend von ihnen auf das Dach uns gegenüber und baute eine weitere Barrikade aus Matratzen, über die sie eine katalanische Nationalflagge hängten. Aber es war eindeutig, daß sie keinen Kampf beginnen wollten, Kopp hatte mit ihnen ein genau festgelegtes Abkommen geschlossen: Wenn sie nicht auf uns schossen, würden wir auch nicht auf sie schießen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich ziemlich weit mit den Zivilgardisten angefreundet und sie mehrere Male im Café ›Moka‹ besucht. Natürlich hatten sie alles, was es an Trinkbarem im Café gab, geplündert, und so gaben sie Kopp fünfzehn Flaschen Bier zum Geschenk. Dafür hatte ihnen Kopp tatsächlich eines unserer Gewehre gegeben, um eins zu ersetzen, das sie am vorhergehenden Tage verloren hatten. Trotzdem war es ein seltsames Gefühl, auf diesem Dach zu sitzen. Manchmal langweilte mich die ganze Geschichte, und ich achtete gar nicht auf den höllischen Lärm. Ich verbrachte Stunden damit, eine Reihe Bücher der Penguinbooks zu lesen, die ich glücklicherweise ein paar Tage vorher gekauft hatte. Manchmal spürte ich dabei sehr bewußt die bewaffneten Männer, die mich aus fünfzig Meter Entfernung beobachteten. Es war beinahe ein wenig, als sei man wieder im Schützengraben. Manchmal erwischte ich mich dabei, wie ich aus Gewohnheit von den Zivilgardisten als »den Faschisten« sprach. Normalerweise waren wir zu sechst oben im Beobachtungsstand. Wir stellten je einen Mann als Wache in jeden der Observatoriumstürme, und der Rest saß auf dem Bleidach darunter, wo es außer einer Steinwand keinen Schutz gab. Ich war mir im klaren darüber, daß die Zivilgardisten jeden Augenblick den telefonischen Befehl erhalten könnten, das Feuer zu eröffnen. Sie hatten zugestimmt, uns zu warnen, ehe sie das täten, aber es gab keine Sicherheit, daß sie ihr Abkommen einhalten würden. Aber nur einmal sah es so aus, als gebe es Ärger. Einer der Zivilgardisten uns gegenüber kniete nieder und begann über die Barrikade zu schießen.
Ich stand in diesem Augenblick im Observatorium auf Wache.
Ich richtete mein Gewehr auf ihn und schrie hinüber: »He! Schieß nur ja nicht auf uns!«
»Was?«
»Schieß nur ja nicht auf uns, oder wir schießen zurück!« »Nein, nein! Ich habe nicht auf euch geschossen. Schau – dort unten!«
Er zeigte mit seinem Gewehr auf eine Seitenstraße, die unten an unserem Gebäude vorbeiführte. Tatsächlich drückte sich dort ein Junge im blauen Overall, mit einem Gewehr in der Hand, um die Ecke. Offenbar hatte er gerade auf die Zivilgardisten auf dem Dach geschossen.
»Ich schoß auf ihn. Er schoß zuerst.« (Ich glaube, das stimmte.) »Wir wollen euch nicht erschießen! Wir sind Arbeiter genau wie ihr.«
Er winkte den antifaschistischen Gruß herüber, den ich erwiderte. Ich rief hinüber: »Habt ihr noch Bier übrig?«
»Nein. Alles ist weg.«
Am gleichen Tag hob plötzlich ohne ersichtlichen Grund ein Mann im J.C.U.-Gebäude weiter unten an der Straße sein Gewehr und schoß auf mich, als ich mich aus dem Fenster hinauslehnte. Vielleicht war ich ein verlockendes Ziel. Ich schoß nicht zurück. Obwohl er nur hundert Meter weit entfernt war, ging die Kugel so weit daneben, daß sie nicht einmal das Dach des Observatoriums traf. Wie üblich hatte mich die spanische Schießkunst gerettet. Ich wurde mehrere Male von diesem Gebäude aus beschossen.
Der teuflische Unsinn dieser Schießerei ging weiter. Aber soviel ich sehen konnte und nach allem, was ich hörte, kämpfte man auf beiden Seiten defensiv. Die Männer blieben einfach in ihren Gebäuden oder hinter ihren Barrikaden und feuerten nur auf die ihnen gegenüberliegenden Leute. Ungefähr achthundert Meter von uns gab es eine Straße, wo sich die Hauptbüros der C.N.T. und der U.G.T. fast direkt gegenüberlagen. Das Ausmaß des Lärms aus dieser Richtung war phantastisch. Ich ging einen Tag nach den Kämpfen diese Straße hinab, und die Scheiben der Schaufenster waren wie Siebe durchlöchert. (Die meisten der Geschäftsinhaber in Barcelona hatten Papierstreifen
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