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Mein Katalonien

Titel: Mein Katalonien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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sich um einen im voraus geplanten Aufstand handelte.
    Ungefähr Mittwoch (den 5.Mai) schien sich die Lage zu ändern. Wegen der verschlossenen Läden sahen die Straßen gespenstisch aus. Nur wenige Fußgänger, die aus irgendeinem Grund gezwungen waren auszugehen, schlichen hin und her und schwenkten weiße Taschentücher. An einer Stelle in der Mitte der Rambla, die von Kugeln sicher war, riefen einige Verkäufer Zeitungen für die leere Straße aus. Am Dienstag hatte die anarchistische Zeitung Solidaridad Obreia den Angriff auf das Telefonamt als eine »ungeheure Provokation« (oder mit einem ähnlichen Wort) beschrieben. Am Mittwoch aber änderte sie ihren Ton und beschwor alle, zur Arbeit zurückzukehren. Über den Rundfunk verbreiteten die anarchistischen Führer die gleiche Botschaft. Das Büro der P.O.U.M.-Zeitung La Batalla , das nicht verteidigt worden war, wurde von den Zivilgardisten zur gleichen Zeit wie das Telefonamt überfallen und besetzt. Die Zeitung wurde aber an einer anderen Stelle gedruckt und in wenigen Exemplaren verteilt. Ich drängte jeden, bei den Barrikaden zu bleiben. Die Leute waren geteilter Meinung und überlegten sich mit Unbehagen, wie zum Teufel die ganze Geschichte enden solle. Ich bezweifele, daß jemand die Barrikaden schon verlassen hatte. Aber alle waren des sinnlosen Kampfes überdrüssig, der wahrscheinlich zu keiner wirklichen Entscheidung führen konnte, weil niemand wünschte, daß er sich zu einem richtigen Bürgerkrieg entwickele. Das hätte die Niederlage im Krieg gegen Franco bedeutet. Ich hörte, wie diese Befürchtung auf allen Seiten ausgesprochen wurde. Soviel man aus dem Gerede der Leute entnehmen konnte, wollten alle Mitglieder der C.N.T. von Anfang an zwei Dinge erreichen: die Rückgabe des Telefonamtes und die Entwaffnung der verhaßten Zivilgarde. Hätte die Generalidad diese beiden Forderungen und die Bekämpfung des Lebensmittel-Schwarzmarktes versprochen, wären ohne Zweifel die Barrikaden innerhalb von zwei Stunden abgerissen worden. Aber es war augenfällig, daß die Generalidad nicht nachgeben wollte. Häßliche Gerüchte wurden kolportiert. Man sagte, die Regierung von Valencia schicke sechstausend Mann, um Barcelona zu besetzen, und fünftausend Anarchisten und P.O.U.M.-Truppen hätten die aragonische Front verlassen, um sich ihnen entgegenzustellen. Nur der erste Teil dieser Gerüchte stimmte. Von unserem Wachtposten auf dem Observatoriumsturm sahen wir auch die langen grauen Schatten der Kriegsschiffe, die sich dem Hafen näherten. Douglas Moyle, der Marinesoldat gewesen war, sagte, sie sähen wie britische Zerstörer aus. Es waren tatsächlich britische Zerstörer, obwohl wir das erst hinterher erfuhren.
    An jenem Abend hörten wir, daß vierhundert Zivilgardisten sich auf der Plaza de España ergeben und ihre Waffen den Anarchisten ausgeliefert hätten. Außerdem hörten wir ungenaue Berichte, wonach die Vorstädte (hauptsächlich die Viertel der Arbeiterklasse) unter der Kontrolle der C.N.T. standen. Es sah so aus, als würden wir gewinnen. Aber am gleichen Abend ließ Kopp mich zu sich kommen und sagte mir mit ernstem Gesicht, daß die Regierung nach Informationen, die er gerade bekommen habe, die P.O.U.M. für ungesetzlich erklären und den Kriegszustand gegen sie verhängen wolle. Diese Nachricht versetzte mir einen Schlag. Das war das erste Anzeichen für die Auslegung, die man später wahrscheinlich der ganzen Geschichte geben würde. Ich konnte in groben Umrissen voraussehen, daß man nach Beendigung der Kämpfe die ganze Schuld der P.O.U.M. zuschieben würde, da sie die schwächste Partei und deshalb der geeignetste Sündenbock war. Inzwischen war auch unser lokaler Neutralitätszustand zu Ende. Wenn uns die Regierung den Krieg erklärte, hatten wir keine andere Wahl, als uns zu verteidigen. Dann konnten wir hier im Amtsgebäude sicher sein, daß die Zivilgardisten nebenan den Befehl erhielten, uns anzugreifen. Unsere einzige Rettung bestand darin, sie zuerst anzugreifen. Kopp wartete am Telefon auf Befehle. Falls wir mit Sicherheit erfuhren, daß die P.O.U.M. geächtet worden war, mußten wir Vorbereitung treffen, um das Café ›Moka‹ sofort zu besetzen. Ich erinnere mich an den langen Abend, der wie ein Alpdruck war und den wir damit verbrachten, das Gebäude zu befestigen. Wir ließen die Stahljalousie vor dem Haupteingang herunter und bauten dahinter eine Barrikade aus Steinplatten, die von Arbeitern zurückgelassen worden waren, die

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