Mein Katalonien
mögen, man glaubte allgemein, dies sei das Signal für einen Generalangriff der Zivilgardisten und der P.S.U.C.(Kommunisten und Sozialisten) auf die C.N.T. In der Stadt verbreitete sich in Windeseile die Nachricht, daß man die Gebäude der Arbeiter angreife. Bewaffnete Anarchisten erschienen in den Straßen, die Arbeit wurde niedergelegt, und sofort brachen Kämpfe aus. In der Nacht und am nächsten Morgen wurden in der ganzen Stadt Barrikaden errichtet, und die Kämpfe gingen ununterbrochen bis zum Morgen des 6. Mai weiter. Auf beiden Seiten waren die Kämpfe aber hauptsächlich defensiv. Die Gebäude wurden zwar belagert, aber, soviel ich weiß, nicht gestürmt, und man setzte keine Artillerie ein. Grob gesprochen hielten die Streitkräfte der C.N.T.-F.A.I. und P.O.U.M. die Vorstädte der Arbeiterklasse und die bewaffneten Polizeikräfte sowie die P.S.U.C. die zentralgelegenen Teile der Stadt und die Regierungsviertel. Am 6. Mai kam es zu einem Waffenstillstand, aber die Kämpfe brachen bald wieder aus, wahrscheinlich wegen der voreiligen Versuche der Zivilgardisten, die Arbeiter der C.N.T. zu entwaffnen. Am nächsten Morgen aber verließen die Leute aus eigenem Antrieb die Barrikaden. Ungefähr bis zur Nacht des 5. Mai behielt die C.N.T. die Oberhand, und eine große Zahl Zivilgardisten hatte sich ergeben. Aber es gab keine allgemein anerkannte Führung und keinen festen Plan; ja, soweit man urteilen konnte, überhaupt keinen Plan außer der vagen Entschlossenheit, sich den Zivilgardisten zu widersetzen. Die Parteiführer der C.N.T. beschworen gemeinsam mit der Spitze der U.G.T. die Bevölkerung, an die Arbeit zurückzugehen,- vor allem wurden die Lebensmittel knapp. Unter diesen Umständen war niemand von der Wichtigkeit der Streitpunkte genügend überzeugt, um weiterzukämpfen. Am Nachmittag des 7. Mai waren die Verhältnisse fast normal. An diesem Abend trafen sechstausend Sturmgardisten ein, die man von Valencia über das Meer geschickt hatte, und übernahmen die Kontrolle der Stadt. Die Regierung erließ den Befehl, alle Waffen abzuliefern, die sich nicht im Besitz der regulären Streitkräfte befanden, und während der nächsten Tage wurden große Waffenmengen beschlagnahmt. Offiziell wurden die Verluste während der Kämpfe mit vierhundert Toten und etwa tausend Verwundeten angegeben. Vierhundert Tote sind wahrscheinlich übertrieben, aber da es keine Möglichkeit gibt, die Wahrheit zu überprüfen, muß man diese Angabe als richtig hinnehmen.
Zweitens nun, was waren die Folgen der Kämpfe? Offensichtlich ist es unmöglich, mit einiger Sicherheit zu sagen, wozu sie führten. Es gibt keinen Beweis dafür, daß der Ausbruch der Unruhen irgendeinen direkten Einfluß auf den Verlauf des Krieges hatte, obwohl das der Fall gewesen wäre, wenn die Kämpfe noch länger gedauert hätten. Die Unruhen dienten als Entschuldigung, Katalonien unter die direkte Kontrolle Valencias zu bringen, die Aufösung der Milizeinheiten voranzutreiben, die P.O.U.M. zu unterdrücken, und ohne Zweifel hatten sie auch einen Einfluß auf den Sturz der Regierung Caballero. Aber wir können mit Sicherheit annehmen, daß diese Dinge auf jeden Fall geschehen wären. Die eigentliche Frage lautet, ob die Arbeiter der C.N.T. als sie auf die Straße gingen, durch ihre Bereitschaft, aus diesem Anlaß zu kämpfen, etwas gewannen oder verloren. Nach meiner Meinung, einer reinen Mutmaßung, gewannen sie mehr, als sie verloren. Die Besetzung des Telefonamtes von Barcelona war nicht mehr als ein Zwischenfall in einer langen Kette von Ereignissen. Seit dem vorangegangenen Jahr hatte man die direkte Macht allmählich den Händen der Syndikate entrungen. Die allgemeine Tendenz lief nicht mehr auf eine Kontrolle durch die Arbeiterklasse hinaus, sondern zielte auf die Verwirklichung einer zentralisierten Kontrolle. Das mußte zum Staatskapitalismus oder möglicherweise zur Wiedereinführung des privaten Kapitalismus führen. Wahrscheinlich wurde diese Entwicklung durch den damaligen Widerstand verlangsamt. Ein Jahr nach Kriegsausbruch hatten die katalanischen Arbeiter viel von ihrer Macht verloren, aber vergleichsweise war ihre Stellung immer noch vorteilhaft. Sie wäre wahrscheinlich viel ungünstiger gewesen, hätten sie klar zu erkennen gegeben, daß sie sich auch gegenüber der größten Herausforderung ruhig verhalten würden. Es gibt Gelegenheiten, bei denen es sich besser bezahlt macht, zu kämpfen und geschlagen zu werden, als überhaupt nicht
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