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Mein Katalonien

Titel: Mein Katalonien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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zu kämpfen.
    Drittens aber, welche Absicht lag dem Ausbruch der Unruhen zugrunde, gab es überhaupt eine? War es ein coup d’Etat oder der Versuch einer Revolution? Zielte er tatsächlich auf den Sturz der Regierung? Hatte man vorher überhaupt irgendwelche Absprachen getroffen?
    Nach meiner Meinung waren die Kämpfe nur insoweit vorher abgesprochen, als jeder sie erwartete. Es gab auf keiner Seite irgendein Zeichen eines sehr bestimmten Planes. Auf Seiten der Anarchisten war der Aufstand ziemlich sicher spontan, denn er entsprang hauptsächlich der Initiative der einfachen Mitglieder. Die Leute gingen auf die Straße, und ihre politischen Führer folgten ihnen zögernd, oder sie folgten ihnen überhaupt nicht. Die einzigen Leute, die sich zumindest in ihren Reden eines revolutionären Tones bedienten, waren die ›Freunde Durrutis‹, eine kleine extreme Gruppe innerhalb der F.A.I. und der P.O.U.M. Aber auch sie folgten den Ereignissen und führten sie nicht an. Die ›Freunde Durrutis‹ verteilten ein revolutionäres Flugblatt, aber es kam nicht vor dem 5. Mai heraus. Man kann also nicht sagen, daß die Kämpfe dadurch ausgelöst wurden, die schon zwei Tage vorher von selbst angefangen hatten. Die Parteiführer der C.N.T. weigerten sich von Anfang an, den Aufruhr als ihre eigene Sache anzuerkennen. Dafür gab es viele Gründe. Zunächst einmal war es sicher, daß die Anführer der C.N.T. konservativer waren als ihre Gefolgsleute, weil die C.N.T. immer noch in der Regierung und der Generalidad vertreten war. Zweitens war es das Hauptziel der Anführer der C.N.T. ein Bündnis mit der U.G.T. zu schließen. Die Kämpfe aber mußten die Spaltung zwischen der C.N.T. und der U.G.T. erweitern, zumindest in diesem Augenblick. Drittens fürchteten die anarchistischen Führer – obwohl das damals nicht allgemein bekannt war –, daß eine ausländische Intervention erfolgen könne, falls die Dinge über einen gewissen Punkt hinausgingen, wenn also etwa die Arbeiter die Macht in der Stadt an sich rissen, wie sie es vielleicht am 5. Mai hätten tun können. Ein britischer Kreuzer und zwei britische Zerstörer hatten sich vor den Hafen gelegt, und ohne Zweifel waren andere Kriegsschiffe nicht weit entfernt. Die englischen Zeitungen meldeten, diese Schiffe seien nach Barcelona gekommen, um »britische Interessen zu schützen«. In Wirklichkeit aber unternahmen sie nichts für diesen Zweck, das heißt, sie landeten keine Soldaten und nahmen keine Flüchtlinge auf. Es ist nicht sicher, aber mindestens sehr gut möglich, daß die britische Regierung, die keinen Finger gerührt hatte, um die spanische Regierung vor Franco zu retten, sehr schnell eingegriffen haben würde, um sie vor ihrer eigenen Arbeiterklasse zu retten.
    Die Anführer der P.O.U.M. taten nichts, um den Aufruhr zu verleugnen, sie ermutigten in der Tat ihre Gefolgsleute, auf den Barrikaden zu bleiben, und gaben in La Batalla vom 6. Mai sogar ihre Zustimmung zu dem extremen Flugblatt, das die ›Freunde Durrutis‹ veröffentlicht hatten. (Es besteht große Ungewißheit über die Existenz dieses Flugblattes, und niemand scheint in der Lage zu sein, ein Exemplar zur Verfügung zu stellen.) In einigen ausländischen Zeitungen wurde es als ein »aufrührerisches Plakat« beschrieben, das man in der ganzen Stadt angeklebt habe. Ein derartiges Plakat gab es mit Sicherheit nicht. Wenn ich die verschiedenen Berichte vergleiche, möchte ich sagen, daß das Flugblatt die folgenden Forderungen stellte: 1. die Bildung eines Revolutionsrates (Junta); 2. die Erschießung aller derjenigen, die für den Angriff auf das Telefonamt verantwortlich waren; 3. die Entwaffnung der Zivilgardisten.
    Es ist weiterhin ungewiß, wieweit La Batalla eine Übereinstimmung mit dem Flugblatt ausdrückte. Ich selbst habe weder das Flugblatt noch La Batalla von jenem Datum gesehen. Der einzige Handzettel, den ich während der Kämpfe sah, wurde am 4. Mai von einer Splittergruppe der Trotzkisten (»Bolschewistische Leninisten«) herausgegeben. Darauf stand: »Jeder auf die Barrikaden – Generalstreik aller Industrien, außer der Kriegsindustrie.« (Es wurde mit anderen Worten nur verlangt, was gerade schon geschah.) In Wirklichkeit aber nahmen die Anführer der P.O.U.M. eine zögernde Haltung ein. Sie hatten sich nie für einen Aufstand ausgesprochen, bevor der Krieg gegen Franco gewonnen war. Andererseits waren die Arbeiter auf die Straße gegangen, und darum folgten die Anführer der P.O.U.M. der

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