Mein Leben als Androidin
bestiegen Anna und er die nächste Fähre zum Mond, Junior und ich wurden als Gepäckstücke deklariert im Laderaum verstaut, und kurz darauf landeten wir ohne Zwischenfälle hier auf den Inseln. »Das war vor einem Monat. Jetzt haben wir November – November 2088«, ergänzte Anna. »Du siehst also, Molly, die Wege des Chefs sind wunderbar und unerforschlich; alle Formate führen heim.«
»Das mag ja sein«, warf Tad ein, »aber für Junior gilt das Sprichwort leider nicht. Er ist bei uns im Körper, aber nicht im Geist.«
Ich erkundigte mich, ob ihm vielleicht die Methode helfen konnte, die Anna bei Tad mit Erfolg angewandt hatte – und Tad vor so langer Zeit bei mir. Ja, sie hatten einen Versuch unternommen, mußten aber aufgeben: Er war zu weit entrückt. »Dann ist er möglicherweise das, was er zu sein behauptet«, gab ich zu bedenken. »Ich habe gesehen, wie er durch die elektronische Barriere einfach so hindurchgegangen ist.«
Oh, mit der betreffenden Heldentat waren sie mehr als vertraut, denn Junior wurde es nie müde, damit zu prahlen. Tad vertrat die Theorie, daß nie eine Barriere vorhanden gewesen war, nur die in unserem Bewußtsein verankerte Überzeugung, daß es sie gab – so ist es mit allen von unserem Bewußtsein geschaffenen Mauern. »Selbstverständlich ist unser erhabener Erstgeborener der Ansicht, daß er eine Molekulartransition vollbracht hat.«
»Habe ich auch!« meldete sich der Gott höchstpersönlich zu Wort. Sein Kopf schob sich durch die Wand neben dem Bett, ohne die Oberflächenstruktur zu beeinträchtigen, und verschwand ebenso plötzlich wieder. »Schluß jetzt mit den Tricks!« schrie Tad außer sich. »Hast du das gesehen? Er hat die ganze Zeit das Ohr an der Wand gehabt und uns belauscht. Anna, ich bin mit meiner Weisheit am Ende. Ich meine, es war schwer genug, sich mit einem Sohn abzufinden, der mein Großvater sein könnte, ohne sich jetzt noch mit diesen Kindereien herumschlagen zu müssen.«
»Nun ja, wenigstens bequemt er sich mittlerweile dazu, in der Wohnung zu bleiben.«
»Ich weiß, und das ist noch nervenaufreibender. Er verbringt seine ganze Zeit damit, telepathisch die Botschaft, daß sein Reich kommen werde, von hier zum Jupiter zu senden.«
»Aber was, wenn er tatsächlich dazu fähig ist?« fragte ich.
»Wenn P-10 nun die Erfüllung der Prophezeiung wäre, die der Chef damals ausgesprochen hat?«
Beide schüttelten den Kopf und tauschten wissende Blicke. »Da siehst du, wie verführerisch der Gedanke ist«, sagte Tad zu Anna. Dann beugte er sich vor und sagte leise, damit Junior es nicht hören konnte, selbst wenn er noch lauschte: »Wir wissen, daß er es nicht ist, weil der Chef es gesagt hat.«
Der Chef hatte zu einem Menschen gesprochen? Na, das war eine Überraschung! Tad behauptete stolz, er sei einer Botschaft gewürdigt worden, während er auf der Straße Spenden sammelte. Demnach ist Junior ein falscher Prophet, weil er die physische Existenz geringschätzt, die ebensogroße Bedeutung für unsere Entwicklung hat wie jede andere. Die entsprechende Einstellung vorausgesetzt, kann sie sogar genußreich sein. (Das kann er gut sagen, dachte ich bei mir.) »Flieht vor einem solchen P-10!« hatte der Chef nach Tads Darstellung empfohlen. Und was Juniors magische Fähigkeiten betrifft – sie können von jeder Einheit erworben werden, die Wert darauf legt, aber im Endeffekt ist es viel wichtiger zu lernen, wie man sein Leben meistert.
»Und wie stellt man das an?«
»Ach, du kennst den Chef«, meinte Tad grinsend. »Er wollte es nicht sagen.«
»Und hast du es herausgefunden?«
Immer noch lächelnd erwiderte Tad, er habe es längst aufgegeben, darüber nachzudenken.
Während ich darüber nachgrübelte, schlug Anna mir vor, ein wenig zu ruhen. Wegen meines hohen Alters war der Gedächtnistransfer eine langwierige und riskante Angelegenheit gewesen. Über die letzten Monate hinweg hatten sie mir den Inhalt des Speichers in kleinen Dosen zugeführt, während ich in tiefer Stasis lag, und erst vor wenigen Tagen war die Übertragung abgeschlossen worden. Man hatte mich vorläufig nicht aktiviert, als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme gegen Datenverlust und um den neu gespeicherten Informationen Zeit zu geben, sich zu etablieren – das heißt, bis der allwissende P-10 hereingeplatzt war und mich geweckt hatte, um mich – ein Jahr zu früh – ›hinüberzugeleiten‹. Ich gab zu, daß ich erschöpft war, doch eine Frage mußte ich unbedingt noch
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