Mein Leben mit Wagner (German Edition)
Orgel?» In diesem Augenblick war meine Karriere als Organist beendet. Das Orgelspiel wurde mir verboten, man war da rigoros – und ich musste mir für meine ungebärdigen Klangphantasien ein neues Ventil suchen. Das fand ich schnell, in gewisser Weise lag es ja nahe: im Orchester. Und im Wunsch zu dirigieren. Und bei Richard Wagner. Ich weiß nicht mehr, was zuerst da war: der Gedanke an Wagner oder der ans Dirigieren. Das ist in meiner Erinnerung extrem stark miteinander verquickt. Beim Wagner-Orchester jedenfalls, so man überhaupt von dem Wagner-Orchester sprechen kann, denke ich bis heute an die Register einer Orgel.
Am Flügel
In musikalischen Dingen musste mich niemand zu irgendetwas anhalten oder ermuntern, ganz im Gegenteil. Meine Großmutter lag mir oft in den Ohren, «nun komm doch endlich raus, es ist so schönes Wetter!» Das schöne Wetter aber interessierte mich nicht, ich wollte üben, und zwar bis sechs Uhr abends. Ich sollte die Arbeit einstellen, nur weil draußen die Sonne schien? Das kam mir völlig absurd vor. Meine Sonne, mein Vergnügen, meine Erfüllung war Bachs «Wohltemperiertes Klavier». Ich spürte, dass dies mein Weg war. Für mich hat es nie eine Alternative zur Musik gegeben und niemals auch nur den leisesten Wunsch danach.
Das Erlebnis Wagner hat diesen Autismus noch verstärkt. Einerseits war da die Musik, die ich hörte: die «Walküre», sehr früh, 1966 unter Karajan, oder meinen ersten «Lohengrin» an der Deutschen Oper, in der alten Wieland-Wagner-Inszenierung, die ich später lustigerweise selber repetiert habe – jedes Mal war ich wie erschlagen. Ortrud und Telramund im zweiten Akt, im Halbdunkel des Bühnenbilds, «Erhebe dich, Genossin meiner Schmach!», das hat mir tagelang die Sinne geraubt (ohne dass ich verstanden hätte, worum es ging). Andererseits war Wagner auch in Gesprächen zuhause immer präsent, und mir hat sich vor allem der Ton eingeprägt: Da schwang eine Bewunderung mit, eine Ehrfurcht – ganz anders als bei Haydn oder Verdi oder Debussy. Haydn und Verdi wurden durchaus geschätzt. Wagner aber musste etwas Besonderes sein, das spürte ich, und es machte mich neugierig. Außerdem umgab ihn natürlich die Aura des Nicht-Kindgerechten, was die Sache doppelt attraktiv machte. Lange Zeit hieß es, für den «Tristan» bist du zu jung, mit dem «Parsifal» warten wir noch. Das führte dazu, dass mich diese beiden Stücke, als sie mich dann ereilten, mit 13, 14 Jahren, bis ins Mark erschüttert haben. Als wäre ich in einem Vakuum groß geworden, einem wartenden Nichts, das die Musik Richard Wagners nun sukzessive füllte.
Dabei war ich nicht nur von der Atmosphäre, den Farben, der Instrumentierung hingerissen, sondern vor allem von der Idee, durch Musik überwältigt zu werden – und zu überwältigen. Dass ich der aktive Teil in diesem Spiel sein wollte, war mir schnell klar. Und also würde ich wohl Dirigent werden. Wie Karajan, dessen Schallplatten ich zuhause auflegte, wieder und immer wieder, die Partituren auf den Knien, vorzugsweise den «Ring», den er Ende der Sechzigerjahre in der Dahlemer Jesus-Christus-Kirche aufgenommen hat, mit dem fabelhaften Thomas Stewart als Wotan und Régine Crespin als Brünnhilde. «Nun komm doch endlich raus, es ist so schönes Wetter!», rief es von irgendwoher. Nein. Lasst mich in Ruhe. Was war das schöne Wetter gegen Siegfrieds Rheinfahrt in der «Götterdämmerung»!
Mit Wagner hat mich regelrecht der Schlag getroffen, und ich wusste: Das ist es. Das musst du tun. Inzwischen hatte ich auch begriffen, dass meine Eltern veritable Wagnerianer waren. Überhaupt bin ich in meiner Jugend nur von Menschen umgeben gewesen, die von Wagner begeistert waren. An andere und anderes kann ich mich jedenfalls nicht erinnern. Das ging bis zu unserem Musiklehrer im Gymnasium, der erzählte, als die Rede auf die Bayreuther Festspiele kam, wie er als junger Mensch durch ein Klofenster ins Festspielhaus eingestiegen sei, um sich Zutritt zu den Generalproben zu verschaffen. Ich habe dieses Fenster später vergeblich gesucht, aber das muss nichts heißen. Am Festspielhaus wird seit jeher viel herumgewerkelt und -gebastelt. Der Enthusiasmus des Lehrers aber, dieses Dabeiseinwollen um jeden Preis, leuchtete mir sofort ein.
Der Gedanke ans Dirigieren hat meine Pubertät beherrscht. Insofern habe ich auch nie groß rebelliert, ich hatte viel zu viel zu tun und keineswegs den Eindruck, dass mir etwas fehlte. Ich steckte meine
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