Mein Leben mit Wagner (German Edition)
«falsch, falsch, falsch», bis man ihn wieder hineinwinken kann. Dabei darf man sich natürlich nicht irren, und deswegen muss die Rechte wie ein Uhrwerk im Takt weiterlaufen. Mehr als das habe ich eigentlich nicht gelernt.
Richard Wagner hat meine Lehr- und Wanderjahre stets «überschattet». Immer wieder pochte er an die Tür, um dann doch (noch) nicht ganz einzutreten: in der Ahlendorf-Episode mit dem «Meistersinger»-Vorspiel, beim Karajan-Wettbewerb, beim Vorspiel vor Hollreiser, bei meiner ersten Karajan-Assistenz mit «Parsifal» und meiner ersten Barenboim-Assistenz mit «Tristan». Selbst George Alexander Albrecht prüfte mich in Hannover mit einer Stelle aus dem dritten Akt «Tristan» («Noch losch das Licht nicht aus»), die ich ihm auswendig vortrug. Und so oder so ähnlich sollte es weitergehen: Wagner, immer wieder Wagner. Wobei ein Anfänger in diesem Fach nichts verloren hat, Wagner war und ist an allen Häusern Chefsache. Meinen Ehrgeiz hat das nur weiter angestachelt.
Ich bin kein Esoteriker, trotzdem frage ich mich, warum es immer wieder Wagner war. Seelenverwandtschaft? Schicksal? Eine besondere feinstoffliche Konstellation? Ich dirigiere Wagner jetzt seit 30 Jahren, und das Verlangen, sich kopfüber in seine Partituren zu stürzen, mag sich geläutert und verfeinert haben, aber verschwunden ist es nie. Ich disponiere heute anders (das heißt, ich disponiere überhaupt), ich weiß besser hauszuhalten mit meinen physischen und emotionalen Kräften. Mit der Zeit bin ich in den Tempi flüssiger geworden, und mir geht es musikalisch sehr viel mehr als früher um Transparenz, um die von Wagner so eindringlich beschworene «Deutlichkeit». Manche Stücke wie den «Tristan» muss ich von Zeit zu Zeit beiseite legen, um mich davon zu erholen – sie gehen mir zu sehr an die Substanz. Das ist wie ein Drogentrip, bei dem man nicht weiß, ob man je wieder zurückfindet (eine Erfahrung, die ich mir erspart habe). Es ist, als ob die Membran zwischen Kunst und Leben, zwischen Diesseits und Jenseits immer dünner wird. Richard Wagner komponiert mit integriertem Suchtfaktor. Das macht ihn für mich so narkotisch und so gefährlich.
Mein offizielles Wagner-Debüt habe ich in Italien gegeben, 1983, bei einem Konzert zu Wagners 100. Todestag im Teatro La Fenice in Venedig. Der Abend trug den schönen Titel «Liebestrank forever», und ich durfte das «Siegfried-Idyll» und die C-Dur Symphonie dirigieren (bevor der Schweizer Dirigent Peter Maag für die «Wesendonck-Lieder» und Isoldes Liebestod mit Katia Ricciarelli ans Pult trat). Venedig ist für jeden Wagnerianer ein hoch auratischer Ort, schließlich ist der Meister hier im Palazzo Vendramin-Calergi gestorben, und im Fenice hat er zwei Monate zuvor noch sein letztes Konzert dirigiert (mit eben jener C-Dur Symphonie, einem Jugendwerk, zum 45. Geburtstag seiner Frau Cosima). Maag hatte ich an der Deutschen Oper Berlin kennengelernt, wir verstanden uns auf Anhieb: er, der ehemalige Furtwängler-Assistent, und ich, der Grünschnabel mit den hochtrabenden Flausen im Kopf. Maag war es auch, der mich kurz darauf, 1981, ans Fenice holte, als sein Assistent bei einer «Tristan»-Neuproduktion. Dort ließ er mich hin und wieder die Proben leiten, Brangänes Nachtruf etwa durfte ich dirigieren – und das Vorspiel. An jenem Vormittag im Fenice ließ ich das «Tristan»-Vorspiel dreimal hintereinander durchspielen und war danach dermaßen außer mir und bis auf die Knochen nassgeschwitzt, dass ich abbrechen musste und ins Hotel geflüchtet bin. Und weil ich es da auch nicht aushielt, bin ich für den Rest des Tages durch die Stadt getaumelt, wie im Delirium, unter diesem stahlblauen venezianischen Winterhimmel. Völlig verzückt, wunschlos glücklich: Ich hatte – das «Tristan»-Vorspiel dirigiert!
Mein vollständiges Wagner-Debüt folgte 1985 mit einem konzertanten «Rienzi» am Niedersächsischen Staatstheater in Hannover. Dann ging es mehr oder weniger Schlag auf Schlag. Zur Spielzeit 1988/89, mit 29 Jahren, wurde ich Generalmusikdirektor in Nürnberg, dirigierte dort neben Pfitzners «Palestrina», Schumanns «Genoveva» und Webers «Euryanthe» zum ersten Mal «Lohengrin» und «Tannhäuser» und sollte 1990 ebenfalls für «Lohengrin» noch einmal ans Fenice zurückkehren. Innerlich aber fieberte ich meinem «Tristan»-Debüt entgegen. Die Gelegenheit dazu ergab sich unverhofft: Im Herbst 1988 meldete sich Peter Ruzicka, der gerade die Nachfolge von
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