Mein Leben mit Wagner (German Edition)
ganze Energie in die Musik, ins Klavier, in die Bratsche, in die Partituren, die ich studierte, in Konzerte und Opernaufführungen. Das Gefühl, auf diese Weise etwas verpasst zu haben im «richtigen» Leben, will sich bei mir bis heute nicht einstellen. Es heißt, die Adoleszenz müsse sich im Widerspruch erfahren, im Aufbegehren, im Rütteln an dem, was ist (und sei es um des Rüttelns willen). Ich kann das für mich nicht recht bestätigen. Zumindest waren meine Widersprüche immer andere, ich bin kein Barrikadenstürmer. Ich musste keine Häuser besetzen oder in zerlumpten Klamotten auf der Straße hocken. Ich habe auch nicht Fußball gespielt oder die Beatles gehört wie die meisten meiner Klassenkameraden. Die Musik, mit der ich mich exzessiv beschäftigte, schien der Wirklichkeit sehr fern zu sein und eröffnete mir doch Welten, eigene Welten. Das war mir Widerstand und Abgrenzung genug.
Rückblickend hat die Situation durchaus etwas Schizophrenes: Halb West-Berlin ruft Ende der Sechzigerjahre die Revolution aus – und der Kleene aus Zehlendorf trottet weiter brav in die Klavierstunde, als wäre nichts passiert. Nun bin ich in der Hochzeit der APO, der Notstandsgesetze und der akademischen «Busenattentate» auf Adorno wirklich noch ein Kind gewesen, und meine Eltern haben diese Ereignisse sicher nicht am Abendbrottisch diskutiert. Gleichwohl gehöre ich einer Generation an, die es gründlich gelernt hat oder es zumindest hat lernen sollen, sich selbst und alles Deutsche zu hassen, natürlich auch die deutsche Musik und allen voran Richard Wagner. Gegen diese political correctness habe ich mich erst intuitiv und später dann ganz bewusst gewehrt. Dabei halte ich es, wie in manch anderen Dingen auch, mit Daniel Barenboim: Wer politisch korrekt sein will, sagt er, möchte nicht selber denken. Und dagegen war ich allergisch. Gar nicht so sehr, weil mein Elternhaus politisch konservativ war, das auch, oder ich politisch eine andere Meinung vertrat (dazu hätte ich erst einmal eine formulieren müssen). Ich wehrte mich, weil mir etwas aus dem Herzen gerissen werden sollte, das ich um keinen Preis mehr herzugeben bereit war. Und so habe ich mich innerlich erst recht auf meine Idole geworfen.
Das schulische Miteinander hat darunter zwangsläufig gelitten. Mir war klar, dass ich anders war als die anderen und dass meine Begabung wohl etwas Besonderes darstellte. Da neigt man leicht zur Arroganz. Halb galt ich als Wundertier, halb als Aussätziger, und was das Schlimmste war, weder das eine noch das andere hat mich groß bekümmert. «Du und dein blöder Bach», solche Sätze habe ich mir oft anhören müssen – sollte ich darauf etwa mit «Ihr und euer blöder Fußball» reagieren? Was die anderen trieben oder über mich dachten, war für mich nie Gegenstand einer ernsthaften Reflexion. Auch war ich nicht ganz allein. Ein paar Mitschüler spielten ebenfalls Instrumente, Cello, Geige, Trompete. Mit denen konnte ich feixen, wenn die Popfraktion mal wieder fragte, na, was für ein «Lied» spielst du gerade? Und dann gab es noch die Opernclique, fünf, sechs eingeschworene Leute, die zusammen in die Oper fuhren, nach Charlottenburg natürlich, aber auch in den Osten, in die Lindenoper. Man kam abends dann sehr spät ins Bett und musste morgens früh raus, weil man in der nullten Stunde Französisch hatte, nachmittags Hausaufgaben und die beiden Instrumente – das war jedoch alles kein Problem. Ich wusste, warum ich es tat. Ein besonders toller Schüler war ich allerdings nicht.
Bayreuth ist für mich immer ein Mythos gewesen. Das kam durch die Erzählungen zuhause – meine Eltern sind x-mal zu den Festspielen gefahren – und durch Dirigentennamen, die in meinem Kopf herumzuspuken begannen: Furtwängler und Knappertsbusch, aber auch Hermann Abendroth, Heinz Tietjen oder Joseph Keilberth. 1980 bin ich als Stipendiat des Berliner Wagner-Verbandes zum ersten Mal selbst in Bayreuth gewesen. An die «Götterdämmerung» – in der legendären, bis heute wegweisenden Inszenierung von Patrice Chéreau, mit Pierre Boulez im Graben – kann ich mich seltsamerweise kaum erinnern. Umso eindrücklicher fand ich den «Parsifal» (Horst Stein dirigierte, Wolfgang Wagner zeichnete für Regie und Bühnenbild verantwortlich): Dieses Gefühl, dass die Musik aus den Stühlen quillt, hat mich ungeheuer fasziniert. Das Licht geht aus, das Vorspiel beginnt – und die Streicher spielen nicht irgendwo da vorne, sondern unter
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