Mein Leben mit Wagner (German Edition)
mir, über mir, rechts, links, im Himmel und in der Hölle, im ganzen Raum. Der Klang hat keine Quelle und keine Richtung, er ist überall. Der Klang ist der Raum, die Musik ist die Welt – und ich bin mittendrin. Als ich da saß mit meiner glühenden Begeisterung, war das eine einzige Bestätigung: Ich hatte es eigentlich nicht anders erwartet als genau so. Im Grunde hatte ich Wagner nie anders gehört, weder vor dem Plattenspieler noch am Klavier, wenn ich versuchte, mir die eine oder andere Partitur zusammenzubuchstabieren.
In diesen Jahren überschlugen sich die Ereignisse, mein Leben glich einem Dominospiel. Mit 18 legte ich an der Berliner Musikhochschule mein Konzertexamen im Fach Klavier ab (bei Helmut Roloff), trat gleichzeitig als Bratscher in die Orchester-Akademie der Berliner Philharmoniker ein und nahm bei Hans Hilsdorf Unterricht in Partiturspiel und Dirigieren. Mit 19 machte ich Abitur und bekam noch im selben Jahr, mit der Spielzeit 1978/79, einen Vertrag an der Deutschen Oper Berlin. Das hätte niemand für möglich gehalten, ich selbst am allerwenigsten. Ich hatte im Sommer eine Reise gemacht und kam gerade wieder zuhause zur Tür herein, da klingelte das Telefon und Hilsdorf war dran: Ein Korrepetitor wolle raus aus seinem Vertrag zu Beginn der Spielzeit, und ich möge doch Heinrich Hollreiser vorspielen. Das tat ich natürlich, die erste Szene der «Meistersinger» und ein Stück aus «Elektra», worauf der alte Hollreiser sagte, den Kleenen könnt ihr nehmen, der wird sich als Anfänger schon irgendwie einfügen. Und so hatte ich zum 1. November 1978 einen Vertrag über 900 Mark pro Monat in der Tasche und war selig! Ich übte und spielte wie ein Berserker, mehr als alle meine Kollegen, denn die Arbeit am Theater war genau das, was ich wollte. Zu Ostern 1980 assistierte ich Herbert von Karajan in Salzburg beim «Parsifal», in seiner eigenen Inszenierung – und ein Jahr später wurde ich Assistent in Bayreuth. Ich sehe mich noch in einem winzigen Stübchen im obersten Stockwerk des Festspielhauses das Orchestermaterial einrichten, Bogenstriche hineinmalen, die Dynamik anpassen und dergleichen mehr, für Daniel Barenboims Debüt auf dem Grünen Hügel mit «Tristan und Isolde» (in der Regie des großartigen Jean-Pierre Ponnelle). Aufgeregt war ich, stolz, rote Ohren hatte ich. Wenigstens in den ersten Tagen.
Mit Herbert von Karajan 1982 in der Berliner Philharmonie bei den Proben für die Studioaufnahme des «Fliegenden Holländers» (außerdem, von links nach rechts: Peter Hofmann, Peter Alward, Michel Glotz, José van Dam)
Im Nachhinein kann dieser Weg geradezu gespenstisch konsequent erscheinen. Und innerlich war er auch unausweichlich, schließlich war ich mir sicher, dass ich Dirigent werden wollte. Äußerlich aber lief beileibe nicht alles nur glatt. Da gab es mit 16 beispielsweise ein Probedirigat bei Herbert Ahlendorf, der am Städtischen Konservatorium unterrichtete (dem ehemaligen Stern’schen Konservatorium). Ahlendorf legte eine Platte mit dem «Meistersinger»-Vorspiel auf und bugsierte mich vor einen raumhohen Spiegel. Ich weiß nicht, was mich mehr verwirrte, die Aufnahme, die mir nicht gefiel, oder mein höchst ungelenkes Ebenbild. Die Chose ging jedenfalls gründlich daneben, Ahlendorf befand, Wille allein genüge nicht und ich sei völlig untalentiert. Ich war am Boden zerstört, immerhin hatte mir kein Geringerer als Herbert von Karajan zu diesem Versuch geraten: Karajan, bei dem ich kurz zuvor eine Audienz ergattert hatte und von dem ich nur eines wissen wollte: Wie wird man Dirigent? Naja, so offenbar nicht.
Und dann war da noch die Geschichte mit dem Karajan-Dirigentenwettbewerb. 1985, Hochschule der Künste in Berlin, Wolfgang Stresemann, der Intendant der Philharmoniker, sitzt einer Jury vor, der neben Karajan auch Kurt Masur und Peter Ruzicka angehören. Gefragt ist das «Tristan»-Vorspiel, ich bin die Nummer 21 von 26 Kandidaten, jeder hat 20 Minuten. Ich begreife das als Aufforderung zum Arbeiten, feile am Vibrato der Celli zu Beginn und lasse die Holzbläser sauber intonieren, versuche, das Orchester zum Atmen zu bringen und von meiner Klang- und Tempovorstellung zu überzeugen – und komme über Takt 19 oder 20 nicht hinaus. Am Ende werde ich disqualifiziert und bin fassungslos. Die Tränen schießen mir in die Augen. Ich hätte es nicht geschafft, durch die Partitur durchzukommen, so die Begründung der Jury. Zum Glück fiel die Entscheidung nicht
Weitere Kostenlose Bücher