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Mein Leben mit Wagner (German Edition)

Mein Leben mit Wagner (German Edition)

Titel: Mein Leben mit Wagner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Thielemann
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Wonder zum Liebestod hinter der Sängerin ein winziges goldenes Quadrat aufscheinen und immer größer und heller werden, bis das Licht den ganzen Saal füllt und Isolde nur mehr im Schattenriss da steht. Was für ein fabelhaftes Bild! Das verzehrende Pathos dieses Schlusses aller Schlüsse, die Auslöschung des Individuellen, die Kraft der Musik, der Trost der Schönheit, die Zeitlosigkeit – alles findet sich darin. Das hätte ich auch sehr gerne dirigiert.
    Der Hamburger «Tristan» versetzte meiner Wagner-Karriere und meiner Karriere überhaupt einen kräftigen Schub. Es folgten Engagements in Genf, Rom, Bologna und den USA, und ich begleitete die Deutsche Oper Berlin, an der ich 1991 mit «Lohengrin» meinen Einstand gegeben hatte, auf Japan-Tournee. Nur ein kleines oberfränkisches Städtchen schwieg beharrlich, und das irritierte mich. Von meinem Generalmusikdirektorenamt in Nürnberg schied ich 1992, nach einem überregional stark beachteten «Tristan», im Streit: Man behauptete, ich tanzte auf zu vielen fremden Hochzeiten, was nachweislich nicht stimmte. Bayreuth aber liegt vor den Toren Nürnbergs (oder vielmehr, für den Wagnerianer, Nürnberg vor den Toren Bayreuths) – hätte ich da nicht Wolfgang Wagner, den Festspielleiter, und seine Frau Gudrun in der einen oder anderen Vorstellung sehen müssen?
    Diese Frage gehört zu den wenigen blinden Flecken in meinem Verhältnis zu den Wagners. Ich habe nie herausgefunden, ob sie da waren oder nicht, und es ist mir immer peinlich gewesen, danach zu fragen. So oder so: Die Einladung nach Bayreuth ließ auf sich warten. Das änderte sich auch nicht, als ich 1997 GMD an der Deutschen Oper Berlin wurde und wiederum Wagner auf dem Spielplan stand, wie es sich für ein so großes Haus gehört. Hatte ich es mir während meiner Assistentenzeit auf dem Grünen Hügel verscherzt? Ich war sehr streng und genau in meiner Arbeit und sicher nicht immer der Verbindlichste im Ton. Gab es neben Daniel Barenboim, James Levine und Giuseppe Sinopoli keinen Bedarf? Fehlten mir wichtige Befürworter? Im Nachhinein muss ich sagen: In den Jahren des Wartens auf ein Bayreuther Signal habe ich etwas fürs Leben gelernt, nämlich auf gar nichts zu warten. Nichts zu sehr zu wollen. Ob es die Bayreuther Festspiele sind oder die Wiener Philharmoniker oder die Semperoper in Dresden: Solche Dinge passieren immer dann, wenn man nicht daran denkt. Voraussetzung allerdings ist, dass man, wenn sie passieren, innerlich gut vorbereitet ist.
    Und genau so kam es. 1999 dirigierte ich an der Chicago Lyric Opera eine Neuproduktion der «Meistersinger von Nürnberg» (mit Jan-Hendrik Rootering als Sachs, René Pape als Pogner, Nancy Gustafson als Eva und Gösta Winbergh als Stolzing). Ich wohnte in einem Wolkenkratzer im 78. oder 88. Stock, wenigstens gefühlt, und konnte aus den Fenstern auf den Michigan See gucken und hinunter in die Magnificent Mile. Draußen schneite es, es war urgemütlich, und ich komme gerade zur Tür herein mit einer Plastikpulle Cola unterm Arm und irgendwelchen Nachos oder Taccos, herrlich ungesundem Zeug – da klingelt das Telefon. Reiner Barchmann ist dran, der Dresdner Kontrabassist, damals Orchesterdirektor in Bayreuth: «Guten Tag, ich rufe im Auftrag von Wolfgang Wagner an, er möchte Sie gerne sprechen. Aber ich kann es Ihnen auch gleich sagen: Herr Wagner wird Sie fragen, ob Sie bei uns die ‹Meistersinger› dirigieren möchten.» Da bin ich mit meinen Nachos und Taccos gepflegt vom Stuhl gefallen. Irgendwie habe ich es noch geschafft, Ja zu stammeln und aufzulegen.
    Am nächsten Tag meldete sich Wolfgang Wagner persönlich, Gudrun und er hielten sich gerade in Amerika auf, und wir verabredeten uns zu einem Essen in Chicago. Dieser erste Abend war lustig und völlig unkompliziert, mit Geschichten über Knappertsbusch und Tietjen und Wolfgangs Bruder Wieland. Da habe ich noch einmal Ja gesagt zu den «Meistersingern», hatte mir zwischenzeitlich aber überlegt, dass mir das zu wenig war. Selbstverständlich sprang ich gerne für Daniel Barenboim ein, der andere Verpflichtungen hatte, aber eine Neuproduktion … Und weil die Laune so gut war und der Wein auch, habe ich mich irgendwann getraut, das anzusprechen. Da guckte der alte Wagner nur und sagte, «Tannhäuser», 2002, nä (er beendete kaum einen Satz nicht mit «nä»), das wäre doch etwas für Sie. Da war ich platt. Der hatte auf diese Frage nur gewartet.
    Bei einer der nächsten

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