Mein Leben mit Wagner (German Edition)
ihm seine Tochter Senta.
2. Akt: Die Mädchen des Ortes vertreiben sich spinnend die Zeit des Wartens auf ihre zur See fahrenden Liebsten. Nur Senta fällt aus der Rolle: Sie ist von einem Gemälde des fliegenden Holländers wie gebannt und steigert sich in heftige Erlösungsphantasien hinein («Traft ihr das Schiff im Meere an»). Ihren Verehrer Erik plagen derweil schlimme Träume. Mit einem Mal steht der Holländer leibhaftig vor Senta, was für ein Theatercoup! Der Verfluchte erkennt in der jungen Frau seine Retterin, sie gelobt ihm Treue bis in den Tod, und Daland verlobt die beiden.
3. Akt: Die Matrosen feiern ihre glückliche Heimkehr («Steuermann, laß die Wacht!»), aus dem Inneren des Holländer-Schiffes dagegen dringt nur finsteres Dröhnen, und ein Sturm erhebt sich. Erik stellt Senta zur Rede und erinnert sie daran, dass sie ihm einst Treue geschworen habe. Das hört der Holländer und eilt zu seinem Schiff zurück, nicht ohne Senta die Geschichte seines Fluches zu erzählen («Erfahre das Geschick»). Senta aber weicht nicht von seiner Seite und stürzt sich zum Zeichen ihrer bedingungslosen Hingabe von einem Felsen hinab ins Meer. Jetzt gibt es zwei Schlüsse: In der ersten Fassung versinkt das Schiff des Holländers für immer in den Fluten – er und die Seinen finden also Erlösung im Tod. In der zweiten Fassung tauchen der Holländer und Senta «in weiter Ferne» aus den Wogen wieder auf und entschwinden, wie das Libretto sagt, «in verklärter Gestalt».
Worum es hier geht? Vielleicht hat der «Holländer» keinen so gewaltigen mythisch-philosophischen Hintergrund wie seine Schwestern- und Folgestücke. Ich jedenfalls würde nicht allzu viel in den Stoff hineingeheimnissen. Das Werk hat für mich eine klare, einfache Botschaft: Wenn du etwas zu sehr willst im Leben, wirst du es nie erreichen. Wenn du etwas zu sehr willst, richtest du nur Unheil an. Der Holländer geht nach sieben Jahren Irrfahrt an Land und setzt alles auf eine Karte, was hat er schon zu verlieren. Aber er erwartet eben auch alles von einem Mädchen, das eigentlich gar nicht mehr frei ist für ihn. Zu seiner Vorgeschichte gehört, dass er Gott gelästert haben soll, als es ihm nicht gelang, Kap Horn zu umrunden. Deshalb ist er offenbar verdammt, bis in alle Ewigkeit um die Welt zu segeln. Diese Rastlosigkeit, dieses Getriebene muss Wagner sehr vertraut gewesen sein. Seine bisherigen Ämter sind im Debakel geendet, Magdeburg, Riga – und auch in Dresden braut sich schon wieder Ungemach über ihm zusammen. Warum? Weil er zu viel will. Weil sein maßloser Ehrgeiz ihn peitscht. Ich bin mir nicht sicher, aber wenn er sich tatsächlich mit der Figur des Holländers so identifiziert hat, wie gerne behauptet wird, dann hätte er eigentlich etwas lernen müssen. Dann hätte er sich sagen müssen: Ich will nicht so enden, ich muss und will klüger werden. Doch gäbe es dann einen «Holländer», einen «Tristan», einen «Ring»? Wahrscheinlich nicht. «Die Kunst ist lang! /Und kurz ist unser Leben», heißt es in Goethes «Faust». Auch Wagner war im praktischen Leben nicht ganz so weise wie in seiner Kunst.
Musik
Wie in keinem zweiten Werk kreuzen sich im «Holländer» Vergangenheit und Zukunft von Wagners Œuvre, Herkunft und Utopie. In der einen Hand hält man die losen Fäden des Frühwerks, in der anderen den Strang des Musikdramas. Senta und der Holländer tragen als ungleiches Paar noch Züge von Ada und Arindal aus den «Feen», gleichzeitig werfen bereits Elsa und Lohengrin, ja in der Unbedingtheit ihrer Liebe sogar Tristan und Isolde ihre Schatten voraus. Und auch die für Wagner charakteristischen Themen schärfen sich: die märchenhafte Unvereinbarkeit zweier Welten (die wir ebenfalls aus den «Feen», dem «Lohengrin» und «Tristan» kennen), die sich opfernde Frau (Ada, Elisabeth), der Mann als einsamer Held und exotischer Retter (Arindal, Lohengrin), Tod und Liebe als gleichwertige Wege zur Erlösung («Tristan»), die Frau als «Weib der Zukunft» (Isolde, Brünnhilde). 1860, als Wagner sich noch einmal dem «Holländer» zuwandte, hatte er gerade die Komposition des «Tristan» abgeschlossen. Dass seine Retuschen an der früheren Partitur auf Verklärung zielten (siehe den geänderten Schluss), versteht sich damit fast von selbst. Dass dies möglich war, ohne der «romantischen Oper» Gewalt anzutun, zeigt darüber hinaus, welches Potenzial der «Holländer» hatte.
Wagner selbst war sich dessen natürlich
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