Mein Leben mit Wagner (German Edition)
diese sehnigen, jedem Salzwasser trotzenden Streicher, diese kathedralischen Tempi! Bayreuth-Mitschnitte sind einige auf dem Markt, einer von 1942 etwa unter Richard Kraus (mit Maria Müller als Senta und Franz Völker als Erik, bei Preiser) und natürlich der unter dem jungen Wolfgang Sawallisch von 1961 (Philips). Diese Aufnahme ist nicht nur wegen Anja Siljas Senta und dem unverwüstlichen Josef Greindl in der Rolle des Daland zu empfehlen, sondern auch wegen ihrer Fassung interessant, einer Mischung von 1841 und 1860 (mit hartem Ouvertürenschluss und fehlenden Orchesterzwischenspielen). Hoch gepriesen wird zu Recht auch ein Mitschnitt aus dem Teatro Colón in Buenos Aires vom 19. September 1936: Fritz Busch steht im Graben des berühmten Opernhauses, hitzig, in expressionistischen Farben geht es zur Sache, Alexander Kipnis singt den Daland (Pearl). Eher gemessen präsentiert sich dagegen Clemens Krauss’ Dirigat im März 1944 mit dem Orchester der Bayerischen Staatsoper, mit Hans Hotter als Holländer und der großartigen Viorica Ursuleac als Senta – eine Aufnahme aus Münchens kleinem Wagner-Haus, dem Prinzregententheater (Preiser).
Auf großartige deutsch-deutsche Ressourcen konnte Franz Konwitschny 1961 im Studio zurückgreifen: Gottlob Frick als Daland, Rudolf Schock als Erik, Fritz Wunderlich als Steuermann, begleitet von der Staatskapelle Berlin (Berlin Classics). Nur Dietrich Fischer-Dieskau fehlt für den Holländer die dramatische Statur. Als Referenzaufnahmen gelten außerdem Antal Doratis Londoner Studioproduktion von 1960 (mit dem grandiosen George London in der Titelpartie, bei Decca) und Otto Klemperers Interpretation von 1968 mit dem New Philharmonia Orchestra, wiederum mit Anja Silja und dem hoch souveränen Martti Talvela als Daland. Und wer die «Urfassung» von 1841 kennenlernen möchte, der möge sich Bruno Weil und der Cappella Coloniensis anvertrauen (DHM, von 2005).
In Bayreuth übrigens funktioniert die Urfassung überhaupt nicht. Weil das Festspielhaus auf einen viel weicheren, zurückgenommeneren Orchesterklang geeicht ist. Daraus erklärt sich auch Wagners Idee gegen Ende seines Lebens, den «Holländer» einer vollständigen Revision zu unterziehen. Er wollte ihn in Bayreuth spielen, daran besteht kein Zweifel – aber anders. Ich denke, wir können der Geschichte dankbar sein, dass es zu dieser Revision nicht gekommen ist. Umso größer ist die Aufgabe, den «Holländer» in Bayreuth trotzdem gut klingen zu lassen, und das heißt: nicht zu knallig, nicht zu grell, nicht zu laut. Eine Chance auf Gelingen hat man dabei nur mit der Fassung von 1860.
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«Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg» – von der Kunst des Maßhaltens und dem Scheitern daran
Von Wagners frühen Stücken habe ich den «Tannhäuser» musikalisch immer als das leichteste und logischste empfunden. Inhaltlich dagegen knirscht es mächtig in seinem Gebälk. Der «Tannhäuser» steht zwischen der Märchen- und Sagenwelt der deutschen romantischen Oper und dem Wagnerschen Ideendrama der Zukunft, das mag der Grund für gewisse Unstimmigkeiten sein. Eigentlich ist der Titelheld am Ende erlöst, Elisabeth hat sich für ihn geopfert, der Priesterstab treibt Knospen – und trotzdem muss Tannhäuser sterben. Warum? Und warum schreibt Wagner dann für den Schluss eine solche Apotheose, ein solches Oratorium, diese Choraufwallung? Ist es ein Finale um des Finales willen, Musik um der Musik willen – hatte er sich davon nicht längst verabschiedet? Nachdem er das unsichtbare Orchester geschaffen habe (den Bayreuther Orchestergraben, den man nicht sieht), möchte er als nächstes «das unsichtbare Theater» erfinden, soll Wagner in der «Parsifal»-Zeit ausgerufen haben. Daran muss ich immer denken, wenn Regisseure sich am «Tannhäuser»-Schluss die Zähne ausbeißen. Vielleicht ist dieser Schluss überhaupt nicht inszenierbar, vielleicht sollte man ihn eben jener Unsichtbarkeit überlassen. Im Übrigen: Richard Wagner war 32 Jahre alt, als er den «Tannhäuser» schrieb – erwarten wir also kein perfektes Meisterwerk wie aus der Hand des späten Goethe.
Entstehung
Im Februar 1843 wird Wagner in Dresden zum Königlich Sächsischen Hofkapellmeister ernannt – ein Amt, das er in erster Linie seinem «Rienzi»-Erfolg verdankt und sich mit Carl Reißiger teilt. Die Doppelspitze ist klug gewählt: Während Reißiger sich mehr dem Alltäglich-Organisatorischen widmet, verfolgt Wagner mit Argus-Augen
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