Mein Leben mit Wagner (German Edition)
einmal eingeschlagen, werden sie ihm seine «romantische Oper» nur so aus den Händen reißen – auch weil er sich darin unter anderem auf die «Memoiren des Herren von Schnabelewopski» stützt, eine Erzählung des populären Exildeutschen und Wahl-Parisers Heinrich Heine.
Auch die eigene Lebenserfahrung steuert Einschlägiges bei: Auf ihrer ohnehin dramatischen Flucht von Königsberg nach London waren Richard und Minna Wagner 1839 an Bord der «Thetis» in einen schweren Sturm geraten. Das Unwetter tobte sieben Tage lang, alle fürchteten um ihr Leben (Wagners geliebter Neufundländer Robber mit eingeschlossen). Den Rest der rund dreiwöchigen Überfahrt aber nutzte der Komponist, um die Besatzung zu beobachten, sich allerlei Seemannsgarn spinnen zu lassen – und so Stoff für seinen «Holländer» zu sammeln.
Der Pariser «Freischütz» indes floppt, und prompt will auch den «Holländer» niemand haben. Beirren lässt der Deutsche sich davon nicht, im Gegenteil: Die Tatsache, dass es sich nicht um ein Auftragswerk handelt, Wagner also keine konkreten Bedingungen vor Augen stehen, scheint die Partitur regelrecht zu beflügeln. Zwar verscherbelt er seinen Prosaentwurf zum «Holländer» aus akuter Geldnot für 500 Francs an die Pariser Oper (mit Pierre Louis Dietschs «Le vaisseau fantôme» entsteht daraus der nächste Flopp der Saison), seine Hoffnungen aber richten sich längst auf Berlin. Drei Nummern komponiert Wagner vorab, sozusagen als Werbematerial: die Senta-Ballade, den Matrosenchor «Mit Gewitter und Sturm» sowie den Chor der Holländer-Mannen «Johohe! Johohoe! Hoe! Hoe! Hoe!». Alle drei überzeugen, und so schickt Wagner, mittlerweile in Dresden ansässig, am 20. November 1842 die fertige Partitur an die preußische Hofoper.
Als es in Berlin wider Erwarten zu Schwierigkeiten kommt, springt erneut Dresden in die Bresche. Am 2. Januar 1843 wird der «Fliegende Holländer» dort uraufgeführt, der Komponist selbst steht am Pult – und das Publikum zeigt sich verstört. Dieses «schmucklose, dürftige und düstere» Opus (so eine spätere Charakterisierung Wagners) soll aus der Feder desselben Mannes stammen, der ihnen vor zwei Monaten das reinste, prächtigste «Rienzi»-Glück beschert hat? Auch die Kritiken fremdeln, nach nur vier Vorstellungen wird der «Holländer» abgesetzt. Seine Erfolgsgeschichte (Riga, Kassel, Berlin, Zürich, Prag, Wien, München, Rotterdam) kann diese missglückte Taufe nicht verhindern. Früh setzt Wagner zu Retuschen der Partitur an, meist betreffen sie die Instrumentation, erst 1860 folgen dann zwei größere Eingriffe. Wiewohl er seine vierte vollendete Oper für die früheste Bayreuth-taugliche hält, lassen die Festspiele sich damit erstaunlich viel Zeit: Erst 1901, fast 20 Jahre nach dem Tod des Meisters, steht der «Holländer» auf ihrem Programm. Siegfried Wagner inszeniert, Felix Mottl dirigiert – das Ganze zum ersten Mal in der Rezeption des Dreiakters ohne Pause.
Besetzung
Die Titelfigur (Bass) bleibt ebenso namenlos wie die kleine Rolle des Steuermanns (Tenor), das übrige Personal trägt lediglich Vornamen: Senta (Sopran) ist die Tochter des Seefahrers Daland (Bass), ihr Geliebter heißt Erik (Tenor), ihre Amme Mary (Alt). Der Chor verteilt sich auf Matrosen, Mädchen und die Mannschaft des Holländers. Im Orchester schreibt Wagner zwei Ventil- und zwei Naturhörner vor, zwei Trompeten, drei Posaunen, eine Ophikleide, Pauke, Harfe und Streicher. Die Bühnenmusik verlangt für den ersten Akt sechs Hörner und Tamtam sowie für den dritten drei kleine Flöten, ebenfalls Tamtam und Windmaschine. Dass unter den zehn gängigen Wagner-Opern das mit Abstand kleinste Orchester den mit Abstand größten Lärm verursacht, verblüfft mich immer wieder. Wagner hat dem Affen hier ordentlich Zucker gegeben, sicher noch ein Überbleibsel aus seinen frühen Jahren.
Handlung
Die Handlung trägt sich an der norwegischen Küste Mitte des 17. Jahrhunderts zu und ist im Vergleich aller Wagner-Handlungen sicher die packendste, aufregendste.
1. Akt: Dalands Schiff gerät in Seenot und steuert eine Bucht an, in der alsbald auch der Holländer vor Anker geht. Dieser finstere Geselle ist dazu verdammt, rastlos auf den Weltmeeren zu kreuzen, und darf nur alle sieben Jahre an Land («Die Frist ist um»). Dort wiederum könnte einzig die Treue einer Frau ihn erlösen. Der dumme Daland ist von den Reichtümern und Schätzen des Holländers geblendet und verspricht
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