Mein Leben mit Wagner (German Edition)
Kürze gibt Wagners «Rienzi» ein treffliches Rezept ab: Man nehme einen historischen Stoff, kontrastiere Einzelschicksale mit Massenaufmärschen, sorge für großzügige Balletteinlagen, kreuze das Politische mit dem Privaten – fertig ist die perfekte Grand Opéra . Nur an den Dimensionen, wie gesagt, hat Wagner sich gründlich verhoben. Namentlich die Lukretia-Pantomime im zweiten Akt und die Schlusstableaus, die sich oft über die Hälfte eines Aktes erstrecken, spannen die Geduld des Publikums auf die Folter.
Musik
«Rienzi» sei Meyerbeers «beste Oper», spottete einst Hans von Bülow – «Rienzi» sei Meyerbeers «schlechteste Oper», konterte gut 100 Jahre später der amerikanische Musikforscher Charles Rosen. Recht haben sie wahrscheinlich beide. Und Recht haben auch all diejenigen, die Spontini, Auber und Bellini als Orientierungsgrößen anführen, die populäre italienische Oper der Zeit. Bei Wagners erstem Biographen Carl Friedrich Glasenapp findet sich folgende Absichtserklärung des Komponisten: «Die große Oper ‹…› nicht etwa bloß nachzuahmen , sondern, mit rückhaltloser Verschwendung, nach allen ihren bisherigen Erscheinungen ‹…› zu überbieten , das wollte mein künstlerischer Ehrgeiz.» Dieser Ehrgeiz mag am Ende größer gewesen sein als das musikalische und dramaturgische Geschick. Tableaus, Ballette, Prozessionen, Pantomimen, vollbusige Arien, ausufernde Ensembles – diese Partitur kennt kein Maß. Als wollte der junge Wagner den Teufel mit dem Beelzebub austreiben.
Die Art und Weise aber, wie er hier trotz aller Längen und Überlängen seinen Personalstil verdichtet, finde ich faszinierend. Die im «Liebesverbot» begonnene Arbeit mit Erinnerungsmotiven setzt sich fort, ausgehend von jenem einzelnen Fanfarenton, der das Geschehen in der Ouvertüre eröffnet und immer wieder mahnend durchdringt (ihn könnte sich Beethoven zum Vorbild für das Trompetensignal im «Fidelio» genommen haben). Das Klangprofil mit den sehr starken Bläsern, die Ausdifferenzierung des Orchestersatzes, die rhythmische Vielfalt – all das zeigt in nuce bereits den Romantiker. Vor allem aber findet Wagner hier inhaltlich zu seinen Themen: der Unvereinbarkeit von Macht und Liebe, dem einsamen Helden, dem Weltuntergang. Cola Rienzi ist, wenn man so will, ein früher Stiefbruder des Holländers, Lohengrins, ja sogar Siegfrieds.
Einziges echtes Prunkstück der Partitur ist die Ouvertüre. Ein überwältigend süffiges, vitales, ja viriles Perpetuum mobile, das einmal den gesamten musikalischen Gesichtskreis der Oper ausschreitet. Zehn Minuten, die nur so bersten vor Sanges- und Ausdruckswillen. Das Hauptthema, Rienzis nicht unpathetisches Heldenmotiv mit aufsteigender Sexte, punktiert absteigender Kadenz, Wiederaufschwung und schwebendem Dominantseptakkord, wird zunächst von den Streichern im Piano vorgetragen, wenig später dann vom ganzen Orchester fortissimo . Was für ein melodischer Geniestreich! Und wie trickreich der junge Wagner ihn verarbeitet: Instrumentationswechsel, die sich stufenweise steigernde Dynamik, permanente Crescendi und Decrescendi – all das suggeriert, die ganze Welt würde sich um dieses Motiv drehen, wie in einem Planetarium die Sterne um die Sonne.
Aufnahmen
Einer unüberschaubaren Vielzahl von Einspielungen der Ouvertüre steht eine kleine Anzahl von allerdings beachtlichen Gesamteinspielungen gegenüber: Den Anfang macht ein Mitschnitt aus der Mailänder Scala von 1964, Hermann Scherchen, der Altmeister der Neuen Musik, dirigiert, und das Ganze entfaltet interessanterweise weniger analytisch-trockene Qualitäten als eine tolle italianità . Giuseppe di Stefano, der langjährige künstlerische Weggefährte von Maria Callas und ein echtes Belcanto-Kraftpaket, ist Rienzi, Raina Kabaivanska ist Irene (Connaisseur). Gut zehn Jahre später folgt mein Favorit: Heinrich Hollreisers Einspielung mit der Dresdner Staatskapelle sowie den Chören des Leipziger Rundfunks und der Dresdner Staatsoper von 1975. Ein kapellmeisterliches Glanzstück, wie Hollreiser hier Licht in so manch kompaktes klangliches Dunkel bringt! René Kollo singt die Titelpartie mit viel silbrigem Strahlen, Siv Wenneberg ist Irene, Theo Adam ein fieser Paolo Orsini, Janis Martin ein leidenschaftlich sich zerfleischender Adriano (EMI). Zehn Punkte auf der Zehn-Punkte-Skala! Aber auch der bei Wagners Frühwerk offenbar unumgängliche Wolfgang Sawallisch macht seine Sache gut, ein Münchner Mitschnitt
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