Mein Leben Ohne Gestern
Urlaub. Es gefällt dir hier.«
Der Mann im Sessel las weiter sein Buch und trank sein Getränk. Das Buch war dick, und das Getränk war gelblich braun, wie seine Augenfarbe, mit Eis darin. Er genoss es offensichtlich und war vertieft in beides, das Buch und das Getränk.
Die weißen Möbel, die Bilder von Leuchttürmen und Stränden an den Wänden, die riesigen Fenster und diespindeldürren kleinen Bäume vor den Fenstern erschienen ihr überhaupt nicht vertraut. Und die Geräusche hier waren ihr auch nicht vertraut. Sie hörte Vögel, die Art, die am Meer leben, das Geräusch von Eis, das im Glas geschwenkt wurde und klirrte, wenn der Mann im Sessel sein Getränk trank, das Geräusch des Mannes, der durch die Nase atmete, während er sein Buch las, und das Ticken der Uhr.
»Ich glaube, ich bin lange genug hier gewesen. Ich würde jetzt gern nach Hause fahren.«
»Du bist zu Hause. Das hier ist dein Ferienhaus. Hierher kommen wir, um uns zu entspannen und abzuschalten.«
Dieser Ort sah nicht aus wie ihr Zuhause, klang nicht wie ihr Zuhause, und sie fühlte sich nicht entspannt. Der Mann, der in dem großen, weißen Sessel las und trank, wusste nicht, wovon er sprach. Vielleicht war er betrunken.
Der Mann atmete und las und trank, und die Uhr tickte. Alice saß in dem großen, weißen Sessel und hörte zu, wie die Zeit verstrich, und wünschte, jemand würde sie nach Hause bringen.
Sie saß auf einem der weißen Holzstühle auf einer Terrasse und trank Eistee und lauschte auf die schrillen Wortgefechte unsichtbarer Frösche und Käfer in der Dämmerung.
»Hey, Alice, ich habe deine Schmetterlingskette gefunden«, sagte der Mann, dem das Haus gehörte.
Er ließ einen juwelenbesetzten Schmetterling an einer silbernen Kette vor ihr baumeln.
»Das ist nicht meine Kette, sie gehört meiner Mutter. Sie ist etwas ganz Besonderes, und du legst sie besser zurück, wir dürfen nämlich nicht damit spielen.«
»Ich habe mit deiner Mom geredet, und sie hat gesagt, du kannst sie haben. Sie schenkt sie dir.«
Sie studierte seine Augen und seinen Mund und seine Körpersprache, suchte nach irgendeinem Zeichen, das sein Motiv verraten würde. Aber noch bevor sie erkennen konnte, ob er es ehrlich meinte, war sie schon verführt von der Schönheit des blau funkelnden Schmetterlings, der ihre Sorge, sich an Regeln halten zu müssen, verscheuchte.
»Sie hat gesagt, ich könnte sie haben?«
»Aber ja.«
Er beugte sich von hinten über sie und legte sie ihr um den Hals. Sie glitt mit den Fingern über die blauen Edelsteine an den Flügeln, über den silbernen Körper und die mit Diamanten besetzten Fühler. Sie spürte, wie sie von einem selbstgefälligen Rausch erfasst wurde. Anne wird so eifersüchtig sein .
Sie saß auf dem Boden vor dem Ganzkörperspiegel in dem Zimmer, in dem sie schlief, und betrachtete ihr Spiegelbild. Das Mädchen im Spiegel hatte eingefallene dunkle Ringe unter den Augen. Ihre Haut sah schlaff und fleckig und faltig um die Augenwinkel und auf ihrer Stirn aus. Ihre dichten, struppigen Augenbrauen mussten gezupft werden. Ihr lockiges Haar war hauptsächlich schwarz, aber es war auch sichtlich ergraut. Das Mädchen im Spiegel sah hässlich und alt aus.
Sie glitt mit den Fingern über ihre Wangen und ihre Stirn, spürte ihr Gesicht an ihren Fingern und ihre Finger an ihrem Gesicht. Das kann nicht ich sein. Was ist denn los mit meinem Gesicht? Das Mädchen im Spiegel widerte sie an.
Sie fand das Badezimmer und schaltete das Licht an. Sie sah dasselbe Bild im Spiegel über dem Waschbecken. Da waren ihre goldbraunen Augen, ihre ernste Nase, ihre herzförmigen Lippen, aber alles andere, die Komposition um ihre Züge, war grotesk verzerrt. Sie glitt mit den Fingern über das glatte, kalte Glas. Was ist denn los mit diesen Spiegeln?
Und es roch seltsam in dem Badezimmer. Zwei glänzende weiße Tritthocker, ein Pinsel und ein Eimer standen auf Zeitungsseiten hinter ihr auf dem Boden. Sie kauerte sich hin und atmete durch ihre ernste Nase ein. Sie stemmte den Deckel von dem Eimer, tauchte den Pinsel hinein und sah zu, wie cremige weiße Farbe an ihm hinuntertröpfelte.
Sie begann mit den beiden Spiegeln, von denen sie wusste, dass sie fehlerhaft waren, dem im Badezimmer und dem in dem Zimmer, in dem sie schlief. Sie fand noch vier weitere, bevor sie fertig war, und strich sie alle weiß.
Sie saß in einem großen, weißen Sessel, und der Mann, dem das Haus gehörte, saß in dem anderen. Der Mann, dem
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