Mein letzter Tampon
Mühsam sucht ihr nach Themen, über die ihr euch unterhalten könnt. Du findest moderne Architektur beziehungsweise das, was der Angetraute deiner Freundin daraus macht, schrecklich und enthältst dich jeder Bemerkung über seine neuesten Objekte, die für deinen Geschmack aussehen wie Frauengefängnisse oder Bunkeranlagen. Auch über Kunst kannst du mit Stefanie nicht reden, denn alles, was auch nur einen Touch europäisch ist, kommentiert sie mit einer hochgezogenen Augenbraue. Natürlich traust du dich auch nicht, von deinem letzten Urlaub auf Mallorca zu erzählen, denn dann folgt sofort ein Bericht über die Wahnsinnsausstellung in Singapur, zu der sie mal eben gejettet sind. Ich kann dich trösten, auch Stefanie und ihr Architekt fühlen sich bei euch zu Hause nicht wohl. Sie nennen dich, wenn sie unter sich sind, „Laura Crashley“ und futtern vor jedem Besuch Magentabletten. Warum zum Teufel tut ihr euch das an? So lustig war eure Abi-Fete doch gar nicht, dass ihr dreißig Jahre davon zehren könntet.
Wenn du also schon dabei bist, dich von all dem Seelenmüll zu trennen, der dich zu vergiften anfängt, dann überleg doch gleich, ob du dich mit anderen Menschen nicht viel wohler fühlen würdest. Du meinst, die müsstest du erst einmal kennen lernen? Schau doch mal ins Internet. Der Vorteil dieses Mediums ist, dass du gezielt nach Menschen suchen kannst, die genau die gleichen Interessen haben wie du. Und die ändern sich nun mal bekanntlich im Laufe des Lebens.
7. Nutze die Nacht
Nächtliche Missgeburten
Du hast mal wieder eine schlaflose Nacht. Nach dem ersten Schweißausbruch stürmst du ins Bad und greifst zwei aprilfrisch gespülte Handtücher. Danach ist mit Schlafen überhaupt nichts mehr. Deine Gedanken kreißen und gebären nur Horrorszenarien.
Und das sieht dann in etwa so aus: Du denkst an dein hoffnungslos überzogenes Konto und betest, dass die Überweisung, die du ausgefüllt hast, überhaupt noch abgebucht wird. Mühsam zählst du an den Händen ab, dass es bis zur nächsten Steuerrückzahlung noch acht Monate sind, sprich: fast ein Jahr, bis das Finanzamt deine Not ein bisschen lindern hilft.
Während du merkst, dass sich ein zweiter Schweißausbruch ankündigt, denkst du mit Schrecken an deine Mutter. Ihre Augen sind so schwach geworden, dass eigentlich nur noch ein Pflegeheim hilft. Was um Gottes willen, so fragst du dich, machst du dann mit deinem herzkranken Vater? Du wälzt dich von einer Seite auf die andere, dein Puls rast. In den letzten sieben Monaten hast du nicht nur ein bemerkenswertes Minus auf dem Konto, sondern auch beim Besuch deiner Eltern zehn Krankenhäuser gesehen.
Im Zweifelsfalle schnarcht dein Mann neben dir so laut, dass an Schlafen nun überhaupt nicht mehr zu denken ist. Eventuell schnarcht auch nur dein Hund oder schnurrt deine Katze oder der Vollmond scheint durch die angeblich blickdichten Gardinen.
Deine Gedanken wandern zu deinem Job. Himmel, dir wird immer heißer. Die Kleine, die man jetzt als deine Assistentin eingestellt hat, ist so ehrgeizig wie du vor zwanzig Jahren. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie deinen Job für ein Drittel deines Gehaltes übernehmen wird. Und wovon du dann diese blöde Eigentumswohnung, die man dir als Steuersparmodell angedreht hat, finanzieren sollst, ist dir komplett unklar. Insbesondere, da du in einem noch nicht voll abbezahlten Haus wohnst und deine Kinder mit steigendem Alter offensichtlich immer mehr Geld brauchen. Wovon zum Teufel sollst du das alles bezahlen, zumal – günstigstenfalls – dein Liebster gerade ebenfalls in einer wirtschaftlichen Krise steckt. Ungünstigstenfalls steckt eure Beziehung in einer Krise. Am ungünstigsten trifft beides zu. Am allerungünstigsten ist, wenn du alleine bist, denn dann hast du den ganzen Mist alleine an der Backe. (Das hast du zwar auch, wenn du in einer Beziehung lebst, aber das tröstet dich überhaupt nicht.)
So oder ähnlich spielen sich in den letzten Jahren immer häufiger deine Nächte ab. Wobei du, wenn du um halb vier mit deinem Konto anfängst, garantiert um sieben wieder dort landest. Deine Gedanken neigen dazu, sich völlig unproduktiv im Kreis zu drehen. Der Philosoph Michel Eyquem Montaigne (16. Jahrhundert immerhin) hat mal gesagt: „Mein Leben war voll von fürchterlichem Unglück, das meistens gar nicht passiert ist.“
Verzeihe dir selbst
Das Schlimmste in diesen Jahren des Wechsels sind deine Zweifel an dir und deinen Charaktereigenschaften. In
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