Mein Name ist Afra (German Edition)
starb und uns ihr Kind zurückließ, diese Wahrheit will ich erzählen, und nichts soll beschönigt oder weggelassen werden, wenn es mir auch weh tut, mich an all dies zu erinnern.
Keiner von allen, die dabei waren, hat danach jemals wieder von diesem Tag gesprochen, nie wieder fiel ihr Name oder der ihres Gefährten, noch wurde die Stelle erwähnt, an der sie ihre letzte Ruhe fand. Den Platz ihres Grabes weiß auch ich nicht, nur die vier Männer aus unserem Dorf, die den hastig zusammengebauten, rohen Bohlensarg auf den Karren luden und im Morgengrauen auf dem schmalen Trampelpfad in Richtung Moorsee davonfuhren, nur diese Vier waren auf ihrem letzten Weg dabei. Aber nie kam ein einziges Wort über ihre Lippen, was sie mit dem Totenschrein getan hatten, oder wo Richlint’s Grabstätte, wenn sie denn eine hatte, zu finden war, und die vier Männer nahmen dieses Geheimnis mit in ihr eigenes Grab.
So bleibt mir als letzte Erinnerung ihr Anblick im Sarg, bevor er verschlossen wurde. Ich selbst habe sie gewaschen, gekämmt und in ihr letztes Bett gelegt, das zu schmal für sie war, eng und zusammengepresst lag sie vor mir. Ihre Beine in den hohen Stiefeln hatte Richlint im Todeskampf zum Bauch hin hochgezogen, es gelang mir nicht, sie wieder ganz auszustrecken und den Leichnam gerade in die zu schnell gefertigte, zu lange und zu schmale Kiste zu legen. Ihre Arme wollte ich über der Brust kreuzen, nach guter christlicher Sitte, doch im Kampf mit dem Tod hatte sie sich an den Hals gegriffen, versucht, Luft zu bekommen, versucht, die Kehle frei zu machen für ihren Atem. So gewaltig war ihr Kampf gewesen, so heftig ihr Widerstand, daß ich kurz nach ihrem letzten Atemzug schon ihre Arme nicht mehr frei bewegen, nicht mehr friedlich gekreuzt auf ihre zusammengefallene Brust legen konnte. Also presste ich sie mit etwas Gewalt seitlich an ihren Körper und versuchte, die Hände wie im tiefen Gebet unter ihrem Kinn übereinander zu legen. Es war eine merkwürdige und befremdende Haltung, wie ich sie nie vorher bei einem Leichnam gesehen hatte.
In der engen, schäbigen Holzhütte am Rande unseres Dorfes, in der Richlint im Kindbett gelegen hatte und ihr Leben zu Ende ging, waren zuviel Menschen und zuwenig Zeit, um meine Freundin schön und würdig, wie es sich gehörte, zu betten. Nur einige letzte Minuten blieben mir mit ihr, denn die anderen drängten, wollten sie loshaben, sie so schnell wie nur irgend möglich verschwinden lassen aus unserer Gemeinschaft. Eine große Gefahr würde sie für uns alle, Männer, Frauen und Kinder aus unserem Dorf darstellen, wenn man sie bei uns finden würde, tot oder lebendig. Ich habe es geglaubt, damals, und nur deshalb, um mich und die Meinen zu schützen, habe ich so gehandelt und Richlint verraten.
Da lag sie nun vor mir, mit gewaltsam geschlossenen Augen, verkrampft, zusammengepfercht in diesem würdelosen, billigen Sarg, angetan mit der minderwertigen Kleidung, die sie während ihrer Schwangerschaft in den letzten Monaten getragen hatte. Ihr einfaches Gewand war aus hellem Schafwollstoff, gewebt von Gisel, einer jungen Magd vom Meierhof ohne Erfahrung und Können, mit Ungleichheiten im Garn und stückweise zusammengesetzt, die vielen unordentlichen Nähte in den reichlichen Falten verborgen. Gisel hatte das Kleid ausgiebig bemessen, damit Richlint es während ihrer Schwangerschaft tragen konnte, nur kurz war das Kleidungsstück geraten, zu kurz für eine anständige Frau, wie die Leute aus dem Dorf meinten, denn es bedeckte gerade die Knie seiner Trägerin. Aber das war Richlints ausgesprochener Wunsch gewesen, denn kein Stück ihrer schönen, hellbraunen Stiefel aus Ziegenleder sollte verborgen bleiben.
Kein Festtagsgewand war das Kleid, in dem meine Freundin schnell und ohne Trauerfeier bestattet wurde, und nur ihr auserlesener Unterrock aus feinster Leinenweberei zeugte von anderen Zeiten. Kein Schmuck, kein Amulett, nicht einmal ein Kreuz als Zeugnis für ihren christlichen Glauben wurde Richlint in den Sarg gelegt, wir alle hatten in den letzten schlimmen Stunden daran nicht gedacht, und so erinnerte kein Gegenstand an das irdische Leben und das Bekenntnis dieser toten Frau. Sie trug in ihren dichten, goldbraunen Locken nur ein schlichtes Band, das wir gefertigt hatten, als wir Kinder waren und viele schöne Tage mit Spielen und Arbeiten zusammen verbrachten. Justina vom verfallenen welschen Gutshof im Weinland hatte uns damals das Weben mit Brettchen gelehrt, und
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